Ein Gespräch mit Bernhard Lang und Michael Sturminger über Hiob, versteckte Wiederholungen und den Kampf mit dem Schluss
Die biblische Figur des Hiob ist der Inbegriff eines Menschen, der mit Gott ringt. Joseph Roth übersetzt diese Geschichte Anfang des 20. Jahrhunderts in die Biografie eines Mannes, dessen zwar naiver, aber sehr lange unerschütterlicher Glaube, ihn durch die Wirrnisse trägt, die das Leben ihm bietet. Wenn wir uns nun im Jahre 2023 umschauen, sehen wir zwar, dass die Menschen gebeutelt sind von Pandemie und Wirtschaftskrise, dazu tobt in Europa ein Krieg und das Klima droht innerhalb der nächsten Jahrzehnte zu kippen – aber mit Gott scheinen in unseren säkularen Gesellschaften selbst angesichts all dieser Katastrophen nur wenige zu ringen. Wie kamt ihr gerade zu diesem Stoff?
Lang: Hiob ist für mich eines der spannendsten Bücher im Alten Testament. Gott hat darin für Hiob gewissermaßen eine Stellvertreterfunktion für das Schicksal und die Prüfungen, die das Leben ihm entgegenwirft. Wir sehen in der Geschichte eine existenzielle Grundsituation, die natürlich nach Lösungen sucht. Der Glaube ist eine mögliche Lösung, die sich aber im Roman von Joseph Roth genauso als Chimäre entpuppt wie alle anderen Auswege, also die Emigration oder das vermeintlich traumhafte Amerika. Die Situation, woanders hinzugehen, wo es vermeintlich besser wäre, ist ein Thema, das genauso zeitlos vor uns steht wie die Tatsache, dass wir Menschen auf den Tod hin konvergieren. Besonders interessant wird der Stoff heute dadurch, dass wir uns auch global betrachtet in einer Situation befinden, in der nicht nur der individuelle Tod zum Thema wird, sondern auch der Tod der ganzen Spezies. In diesem Spannungsfeld finde ich den Roman von Joseph Roth extrem ansprechend und berührend.
Sturminger: Wenn du sagst, es verzweifelt niemand an Gott, dann ist ja das Interessante, dass genau das schon das Thema im Alten Testament ist. Hiob, der in seinem Leben alles richtig gemacht hat, fällt plötzlich in den luftleeren Raum. Er hat alle Regeln eingehalten, hat sich so verhalten, wie es ihm gesagt wurde und sollte eigentlich dafür belohnt werden. Doch in seiner Biografie passiert genau das Gegenteil. Die Grundfrage, die durch die ganze Geschichte von Hiob durchschwingt ist: Was ist, wenn es keinen Gott gibt? Meine Antwort ist: Es gibt ihn nicht. Das heißt, in einer relativ atheistischen Zeit müssen wir uns andere Werte finden als diesen Gott, dem wir es recht machen. Ich würde sogar sagen, darin liegt die Chance zu begreifen, dass wir unser Schicksal selbst die Hand nehmen müssen, dass wir nicht mehr als Gesellschaft sagen: „Gott hilft uns“, sondern das dem Herzen der einzelnen Leute überlassen. Im Roman muss eine Familie aus ethnischen, rassistischen und politischen Gründen ihre Heimat verlassen und verliert ihre Söhne, die im selben Krieg auf unterschiedlichen Seiten kämpfen. Da zeigt sich, dass das Schicksal gar keinen Gott braucht, um uns vor unüberwindliche Hindernisse zu setzen und das hat sich seit Joseph Roth um keinen Millimeter geändert. Die absurde Aktualität des Krieges hätten wir natürlich nicht gebraucht, aber sie zeigt: Es ist ein Stück zur Zeit.
Der Hiob des Romans, Mendel Singer, verhält sich zu den Schicksalsschlägen, die ihn ereilen, in einer Weise, die ihm seine Frau Deborah als Passivität auslegt, die aber der Erzählung einen großen Reiz verleiht: Es ist fast, als würde er sein eigenes Leben fast aus der Perspektive der dritten Person verfolgen.
Sturminger: Weil er’s immer so analysiert, nicht?
Lang: Ich glaube, dieses Selbstanalysieren und Selbstinterpretieren, dieses Rechenschaft legen über sich selbst und die Auslegung der eigenen Taten ist ein fester Bestandteil der jüdischen Kultur und Religion. So wie Roth es beschreibt, ist es fast eine Vorform der Psychoanalyse.
Tatsächlich war Freud ein – deutlich älterer – Zeitgenosse Roths. Die beiden ähneln sich auch in ihrer Herkunft aus bürgerlichen jüdischen Familien aus dem Hinterland der k. u. k. Monarchie. Auch Freud setzt sich nicht nur sehr kritisch mit der Religion auseinander, sondern entwickelt seine Theorie unter anderem auch aus Bildern des Alten Testaments. Das Modell, nach dem die Seele in die hierarchisch geordneten Instanzen Es, Ich und Über-Ich geteilt ist, lässt unweigerlich an Moses denken, der zerrissen ist zwischen dem Herrn, der vom Berge Sinai herab das Gesetz verordnet, und dem Volk, das unten ums Goldene Kalb tanzt.
Lang: Bei Roth ist Mendel eine präanalytische Figur, das ist Teil seiner Haltung. Literaturwissenschaftlich könnte man vom Typus des Selbstbeobachters sprechen, der seine eigenen Taten und Handlungen verbal auf die Waage legt und auseinandernimmt. Es ist schockierend, mit welcher Offenheit er das tut. Wenn er die Beziehung zu seiner Frau auf ganz libidinöser, sexueller Ebene analysiert und zu dem Schluss kommt, »eine Ehe mit der Hässlichkeit, mit der Bitterkeit« zu führen, dann ist das nicht eben ein Rosenstrauß.
Sturminger: Aber er nimmt sich selber nicht aus. Es ist zwar grauenvoll, wie radikal er das formuliert, aber er schaut seine Situation ganz schonungslos an, und weil er sie so objektiviert und gänzlich unsentimental und ohne Selbstmitleid anschaut, wird sie überhaupt erträglich.
Der Roman erzählt fast ein ganzes Erwachsenenleben, beginnend etwa im 30. Lebensjahr Mendel Singers und endend etwa 40 Jahre später. Wie spielt sich diese Biografie in der Oper ab?
Sturminger: Mendel durchlebt dieselben 40 Jahre wie im Roman, nur »fast forward«.
Lang: Die Oper läuft episodisch ab und zeigt Querschnitte aus dem Lebensstrom Mendels. Es werden nicht die Jahre und Stationen aufgezählt, sondern eine Schau mit weitem Objektiv vollzogen. Das strukturierende Element sind dabei die Stationen der Erkenntnis Mendels, die große Zäsur ist natürlich die Emigration, durch die zwei Welten aneinandergeraten und zwei Kulturen sich zu reiben beginnen. Allerdings erzählt ja auch der Roman die Handlung gerafft und in Episoden. Vor allem am Schluss weiß man eigentlich nicht, welche Zeiten vergehen, das wird von Roth nicht explizit beschrieben.
Sturminger: Der Roman hat auch einen grundsätzlichen märchenhaften Duktus – gerade in der Brutalität der Analyse und der gänzlichen Abwesenheit von Sentimentalität. Das haben wir auch in die Oper übernommen.
Lang: In dieser Hinsicht steht Hiob im Roth’schen Werk ziemlich einzigartig da, diese Elemente fehlen anderswo.
Sturminger: In der Legende vom Heiligen Trinker kann man das auch ein bisschen sehen.
Lang: Das stimmt, aber in den großen Romanen, Kapuzinergruft oder Radetzkymarsch gibt es das überhaupt nicht. Im Hiob schimmert es aber wie die Vision eines Trinkers so ein bisschen durch, und das kommt jetzt in deiner Inszenierung auch zur Darstellung.
Wenn wir jetzt beim Märchenhaften sind, müssen wir auch über den Schluss sprechen. Das Buch Hiob im Alten Testament hat einen fast absurd-surrealen Schluss. Nachdem Hiob seinen Reichtum verloren hat, seine Kinder gestorben sind und er krank war, wird er wieder gesund, erhält noch größeren Reichtum als zuvor, bekommt sieben neue Kinder und lebt noch 140 Jahre. Bei Joseph Roth ist die Dramaturgie der Schicksalsschläge von vornherein anders angelegt, da diese nicht so ereignishaft sind wie in der Bibel, sondern sich eher prozesshaft im Laufe der Biografie abspielen. Die »hiobsmäßige« Abfolge von Katastrophen tritt erst gegen Ende von Mendels Leben ein, als die Nachricht eintrifft, dass sein Sohn Schemarjah im Ersten Weltkrieg gefallen ist, worauf seine Frau Deborah stirbt und seine Tochter Mirjam psychotisch wird und in die Psychiatrie eingeliefert wird. Und dann passiert das Wunder: Der Sohn Menuchim, der aufgrund seiner geistigen Behinderung in Europa bleiben musste, als die Familie ausgewandert ist, taucht plötzlich gesund, als berühmter Dirigent und Komponist mit eigenem Orchester in New York auf. Mendel ist selig, dass Menuchim, der eigentlich wie ein Alter ego von ihm ist, wieder bei ihm ist. Wie geht ihr in der Oper mit diesem Schluss um?
Sturminger: Als Librettist habe ich mit diesem Schluss gekämpft und mich gefragt, was man davon in unserer Opernversion behalten kann. Ich habe ursprünglich ein großes, märchenhaftes Opernfinale geschrieben, in dem alle Personen nochmal auftreten. Aber dann kam der Komponist und hat gesagt: Das lassen wir weg. Damit hat Bernhard seine Theaterpranke bewiesen, indem er nur noch die Knochen übrig gelassen hat von der Abstraktion des Märchens, die Roth am Ende so herrlich barock aufbaut. Denn wenn man sich vorstellt, dass da plötzlich dieser junge, großartige Dirigent auftaucht, fragt man sich natürlich, was das heißen soll. Jetzt mit unserem Schluss zeigt sich, dass sich in diesem Ende die Hoffnung manifestiert, dass doch noch alles gut wird. Denn der große Fehler, den diese Familie in ihrer Not gemacht hat, den sich weder Mendel noch Deborah je verziehen haben, war es, diesen Sohn zurückzulassen. Das ist nicht moralisch zu beurteilen, aber damit haben sie sich ihre Amfortas-Wunde schon gerissen, bevor sie überhaupt in Amerika vom Schiff hinuntersteigen. Und das Einzige, was diese Wunde heilen könnte wäre, dass dieser Sohn doch noch gesund wird. Deshalb träumt Mendel, auch nachdem er in Amerika ist, immer nur von Menuchim.
Lang: Wir haben sehr lang über den Schluss diskutiert sind nun zu einer Lösung gekommen, die alles offen lässt und trotzdem den Charakter des Märchens nicht verliert. Wenn wir an Hans Christian Andersens Mädchen mit den Schwefelhölzern denken, dann geht das auch nicht gut aus, und trotzdem wird’s dem Mädchen plötzlich ganz warm, es sieht freundliche Leute und entspannt sich, weil es endlich zu Hause angekommen ist. So sehe ich das Ende jetzt, dass Mendel sich entspannt, er sieht seinen Sohn und wird erlöst. Ich lasse auch den Menuchim erscheinen und singen. Er singt dann allerdings in einem anderen, viel tieferen Register als vorher und erscheint dadurch als andere Persönlichkeit.
Vorher ist er ein Countertenor, die hohe Stimme ist die musikalische Chiffre für seine Krankheit, für seine Entrücktheit.
Sturminger: Oder auch für seine Kindlichkeit und Unschuld. Das ist wie mit den Contralti bei Mozart, die zu gewissen Zeiten von Frauen und zu gewissen Zeiten von Männern gesungen wurden. Gemeint ist aber immer das noch nicht Erwachsene, der noch nicht erwachsene Körper.
Lang: Und gleichzeitig ist es eine der virtuosesten Passagen des Stücks. Ich kannte Thomas Lichtenecker ja vorher und ich habe ihm, wie man in Wien sagt »was reingeschrieben«. Er kann an dieser Stelle seine ganze Virtuosität zeigen, aber verschlüsselt in der Naivität, Jugendlichkeit und Unberührtheit Menuchims, der das, was um ihn herum passiert, nicht in vollem Umfang versteht.
Wie ist denn die Zäsur in der Biografie Mendel Singers und seiner Familie, der Umzug nach Amerika, musikalisch und szenisch gestaltet?
Lang: Musikalisch ist das recht klar, weil in Amerika andere musikalische Paradigmata herrschen, da gibt es einen Gestuswechsel in der Musik. Teilweise geht es sogar ins Burleske, ins Komische. Die Klezmerkomponente, die charakteristisch für das alte Leben der Familie in Europa ist, wird dann zurückgenommen. Und es findet eine dramaturgische Straffung statt: In Amerika geht alles ein bisschen schneller.
Die musikalische Zäsur erfolgt aber schon lange vor der Ankunft in New York: Bereits in dem Moment, in dem Mendel beschließt, nach Amerika zu emigrieren, kehrt der Swing Einzug ein.
Lang: Der Zäsurpunkt ist eigentlich noch früher, wenn der Amerikaner Mac, der Freund ihres ausgewanderten Sohnes Schemarjah, die Singers besucht und mit der amerikanischen Nationalhymne Einzug hält. Hier wird Puccinis Madama Butterfly mit originalgetreuer Instrumentation zitiert. Nur der Text ist anders: Wo Pinkerton von den Yankees singt, fragt Mac zur selben Musik »Is this the house of Mendel Singer?«. Da kündigt sich schon an, dass sich auch Mendel bald unter den Yankees wiederfinden wird.
Sturminger: Szenisch haben wir mit ganz einfachen Formen gearbeitet. Auf der Bühne befinden sich ein rechteckiges Podest und ein darüber schwebender Block, die sich vom ersten zum zweiten Akt um 90 Grad drehen. Wir wechseln gewissermaßen vom Breit- ins Hochformat, denn in Manhattan sind die Häuser hoch und schmal. Es kommt etwas mehr Farbe ins Spiel, plötzlich sind mehr Menschen da, weil wir uns jetzt in der Großstadt befinden. Es passiert aber alles mit dem geringsten szenischen Aufwand – Bühnenbild und Requisiten beschränken sich auf das Nötigste. Das Stück verlangt diese Abstraktion. Es ist unglaublich, wie viele musikalische Ideen in ganz kurzer Zeit aufeinander folgen, sodass die Musik immer schon einen Schritt weiter ist als die Zuschauer. Wir müssen im Publikum sozusagen immer schauen, dass wir noch mitkommen.
Man kann die Handlung der Oper als Familiengeschichte betrachten. Das spiegelt sich auch im Figurentableau wider: Es gibt die sechs Mitglieder der Familie Singer und einen Sänger, der alle anderen Figuren singt, die nicht zur Familie gehören. Insofern wäre Hiob fast ein Kammerstück – gäbe es da nicht den Chor.
Sturminger: Bernhard ganz früh gesagt hat, dass es einen Chor braucht. Ich wusste erst gar nicht, was wir mit diesem Chor machen sollen, denn von der Struktur der Geschichte her gibt es keine Chorstellen. Aber dann ist mir immer klarer geworden, dass der Chor wie ein Über-Ich agiert. Er ist also nicht die schicksalhafte, überirdische voce wie in Idomeneo, sondern speist sich aus der ganz persönlichen, ganz individuellen Erlebniswelt der Figuren. Wenn in einem Satz ein bestimmter Gedanke verhandelt wird, so verstärkt der Chor einzelne Worte und Begriffe, wodurch sie musikalisch vergrößert werden wie unter einem Mikroskop. Das ist eine fantastische Funktion, die diesem Stück auch seine opernhafte Größe verleiht.
Auch das Orchester ist alles andere als klein besetzt.
Lang: Das war natürlich ein Wunsch, diese Oper mit einem großen Apparat anzugehen, der noch erweitert wird durch die Rhythm-Section, Percussion und den Synthesizer.
Sturminger: Die Musik, die so entsteht, ist für mich klanglich einerseits sehr vertraut, andererseits aber wenig einordenbar. Bernhard traut sich eine Schönheit, die in den letzten Jahrzehnten sofort unter Kitschverdacht gestanden hätte.
Lang: Der Trick ist hier, dass die Harmonien spektral gedacht sind. Der Synthesizer ist als Vierteltonorgel programmiert – aber niemand merkt, dass es Vierteltöne sind, weil sie mit den Obertonklängen des Orchesters verschmelzen.
Sturminger: Bei den szenischen Klavierproben war das noch anders. Wenn da der Synthesizer zum Klavier gespielt hat, ohne das Obertonspektrum des Orchesters, hat es uns beinahe ausgehoben.
Lang: Ja, wenn du es nicht mischst, glaubst du, du kriegst einen Schlag.
Sturminger: Man ist beinahe wahnsinnig geworden, aber gleichzeitig lag eine freche, schmerzhafte Schönheit in dieser Brutalität drin.
Auch Ihr Lehrer Georg Friedrich Haas, dessen Oper Koma wir vor einigen Jahren hier am Stadttheater aufgeführt haben, arbeitet mit diesem Effekt von Mikrotönen, die mit dem Obertonspektrum klassischer Harmonien verschmelzen.
Lang: Haas war in dieser Hinsicht mein Lehrer. Das ist ein musikalischer Verschmelzungsprozess, durch den sozusagen durch die Hintertür wieder die Harmonik ins Spiel kommt. Das ist ein wesentlicher Bestandteil des Stücks – Neue Musik nicht als Selbstzweck auszustellen, sondern einfach als Ausdrucksmittel für das emotionale Geschehen.
In Ihrer Musik spielt auch das Phänomen der Wiederholung immer eine große Rolle. In HIOB ist es allerdings nicht so ohrenfällig wie in anderen Werken – am ehesten bemerkt man noch, dass die Figuren gelegentlich einzelne Sätze oder Satzglieder mehrfach wiederholen, als würden sie bei einem Gedanken hängen bleiben.
Lang: Als Michael das Libretto geschrieben hat, hat er zu mir gesagt: »Aber da darfst mir nicht zu viele Wiederholungen reinschreiben!« Daher habe ich die hier eher versteckt. Natürlich gibt es sie in den Klezmerpassagen in den Beats, die auf gesampleten Loops aufbauen. Aber das ist hier nicht so vordergründig, eher wie eine Accompagnato-Maschinerie, die die Sprache trägt.
Sturminger: Es ist auch so, dass Bernhard ein Klassiker geworden ist. Er kann mir jetzt gerne widersprechen, aber wenn ich seine Musik höre, dann höre ich sozusagen »musikalische Musik«. Ich muss mich nicht in irgendeiner Form einrichten und bereit machen, um in der Lage zu sein, das zu hören und aufzunehmen. Es ist ganz zeitgenössische Musik, die aber trotzdem eine große Zugänglichkeit hat und ganz direkt anspricht. Natürlich gibt es ein intellektuelles Muster, das die Struktur vorgibt, aber das tritt einen Schritt zurück und lässt die Emotionalität mehr in den Vordergrund treten.
Lang: Das wäre natürlich mein Wunsch, was Michael da bestreibt. Tatsächlich kommt in der Partitur die ganze Palette zeitgenössischer Musik vor – von Spektralmusik bis zu Spieltechniken auf der Violine. Aber meine Idee war, das nicht als Selbstzweck auszustellen, sondern in den Dienst der Emotionalität zu stellen und Emotionalität zu vermitteln. Ich habe die Oper in einer Zeit persönlicher Krisen geschrieben, in dieser Zeit ist unter anderem meine Mutter gestorben. Insofern ist es auch ein sehr persönliches Stück.
Eine letzte Frage: Es gibt ja noch ein anderes berühmtes Musiktheaterwerk, das in einem ganz ähnlichen, oder sogar im selben Kontext und zur selben Zeit spielt wie Hiob, nämlich Anatevka. Hat das bei eurer Arbeit eine Rolle gespielt?
Lang: Auf die Idee wäre ich jetzt nicht gekommen!
Sturminger: Aber es hat tatsächlich etwas von Fiddler on the Roof. Vor allem das Vorspiel des zweiten Aktes, wenn wir nochmal ein wenig verklärt spüren, wie »schön« es in Russland war. Da wird HIOB fast zu einer zeitgenössischen Operette. Das hat so eine vitale, aufmüpfige Fröhlichkeit, die sich nicht unterkriegen lässt inmitten des Wahnsinns, auf den die Handlung gerade zusteuert. Das ist richtige Bernhard Lang’sche Unterhaltungsmusik.