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16. September 2021

»Eine Seilbahn verbindet Götter und Menschen«

Bühnen- und Kostümbildner*innen sind maßgeblich an der Entwicklung von Theaterproduktionen beteiligt, meistens ist jedoch nur das Endergebnis ihrer Arbeit sichtbar. Der gesamte Entwicklungsprozess wird kaum irgendwo beschrieben.

Okarina Peter und Timo Dentler, Bühnen- und Kostümbildner unserer Klagenfurter Walküre, haben uns einen Einblick in ihre Arbeit gewährt.

Die Walküre, ein unglaublich spannendes, aber auch wahnsinnig aufwändiges Ausstattungsprojekt. Vor allem auch, wenn es nicht auf einer riesigen Bühne, sondern in einem vergleichsweise kleinen Haus wie dem Klagenfurter Stadttheater zur Aufführung kommt. Wie nähert man sich solch einem Projekt an?

Okarina: Schon in der Entwurfsphase haben wir häufig den Anspruch, eine Art Mikrokosmos zu kreieren, da gehören Kostüme, Bühne, Requisiten und die Beleuchtung dazu. Budgetabhängig wird es dann natürlich ab dem Moment, wo man über die Umsetzung nachdenkt, aber wenn man das schon zu Beginn tut, schränkt man sich selbst sehr ein.

Timo: Ja, wir machen erst einmal Entwürfe, bauen ein Modell, und schauen dann, wie man mit den Gegebenheiten des jeweiligen Hauses so durchs Stück kommt.

Okarina: Wie Timo sagt, wir sind Modellbauer. Zu allererst bauen wir einen kleinen Kosmos in unserem Atelier, dort entwickeln sich Ideen, werden Bilder zu Rate gezogen, wir schauen Filme, machen Fotos , hören und lesen das Stück. Dort stellen sich dann meist die Fragen: Was wollen wir erzählen? Welche Theatersprache wählen wir dafür? Was macht uns neugierig? Bis zur Premiere vergehen ja dann unter Umständen noch zwei Jahre.

Timo: Eine Geschichte zur Entstehung der Walküre müssen wir unbedingt noch erzählen. Da hat Aron (Stiehl, der Regisseur; Anm.) uns eine kleine Falle gestellt – heute lachen wir sehr darüber…

Wir sind nach Klagenfurt gereist, um ein erstes Arbeitsgespräch mit Aron zu führen. Wir fühlten uns gut vorbereitet,  hatten die Partitur und  Bildmaterialien zum Zeigen dabei… Doch dann hat uns Aron plötzlich gar nicht im Theater, sondern am Wörthersee empfangen. Es war ein komplett verregneter, stürmischer Tag im Spätherbst, wir kamen gerade von einer Premiere aus Graz und waren für das fürchterliche Wetter komplett unpassend angezogen. Nachdem wir mit Aron im Freien unter einem Schirm Kaffee getrunken hatten, dachten wir, dass wir jetzt an diesem Tisch arbeiten würden, aber nein, nach einer halben Stunde sagte Aron, „Kommt doch mal mit!“ Und dann ging es los, quer übers Kreuzbergl, wild querfeldein, es war unglaublich spannend! Ohne großen wörtlichen Austausch hat er uns Stellen im Wald gezeigt, die für ihn mit Walküre zu tun haben.

Okarina: Für uns war dieser Tag, dieses Naturerlebnis natürlich wahnsinniges »Futter«, um dann später, im Atelier, zu unserer Erzählform zu finden.


Dann hat Aron euch eigentlich schon sehr genau vorgegeben, was er haben wollte, oder? Inwieweit haben sich diese Pläne mit allem, was ihr bisher erarbeitet hattet, gedeckt?

Okarina: (lacht) Naja, ich glaube, wir haben Aron schon auch noch überrascht…

Timo: Das gegenseitige Vertrauen spielt da eine große Rolle! Über gemeinsame Gespräche und viele Arbeitsschritte findet man zueinander, dann ergibt sich irgendwie alles.

Okarina: Und natürlich hat es auch eine große Rolle gespielt, dass wir zusammen den gesamten Ring mitgedacht haben, das hat man dann schon immer im Hinterkopf bei der Planung.

Timo:  Die ersten gemeinsamen Bilder im Kopf haben wir schon gemeinsam entwickelt, als wir mit Aron präzise durchs Stück gegangen und er uns auf die einzelnen Themen in der Musik hingewiesen hat, das ging dem ganzen Prozess noch voraus.

Okarina: Uns war es dann recht bald ein großes Anliegen, die Walküre-Geschichte auf ganz bildstarke Weise zu erzählen, mit einem fotografischen Blick auf diese Geschichte zu schauen und die Figuren mit ihrer Menschlichkeit so plastisch wie möglich nach vorne zu holen. Entstanden ist dann keine abstrakte, sondern eine  konkrete Bildsprache – die Entscheidung, diesen Weg zu gehen, haben wir zusammen mit Aron entwickelt.

Timo: Als wir die Metapher der Seilbahn, als Verbindung zwischen der Welt der Götter und der Menschen, gebaut hatten, hat Aron sie sofort sehr gerne angenommen und mit uns weiter konkretisiert.


Wie dürfen sich unsere Besucher*innen die Arbeit von Bühnen- und Kostümbildern*innen vorstellen? Liefert ihr die fertigen Pläne, Skizzen, Figurinen ab und eilt dann weiter zu eurem nächsten Projekt, oder begleitet ihr die Produktion dann noch weiter?

Okarina: Ein wichtiger Teil unserer Arbeit in der Vorbereitungsphase ist die Musterung. Da wird z.B. im Malersaal geschaut, wie etwa ein Marmor aussehen soll oder aus welchem Material der Waldboden besteht, damit er im Umbau dann auch schnell verschwinden kann. Von den Walküren-Kostümen wurden auch nicht alle Kostüme auf einmal genäht, sondern erstmal eines aus einem anderen Stoff, dann wird es anprobiert und exemplarisch überlegt, welche Varianten wir haben und was zu wem passt. Da ist einer der Vorteile von einem kleineren Haus, dass die Entwürfe an die Werkstätten nicht so früh wie an einem großen Haus vorliegen müssen. Hier in Klagenfurt z.B. können wir selbst jetzt noch, in der Probenphase, reagieren und präzisieren, das ist eine große Qualität, die das Arbeiten spannend macht! Es ist wirklich toll, was hier in den Werkstätten an Denkarbeit geleistet wird und wie man dann gemeinsam zu technischen Lösungen kommt, die einem vorher vielleicht gar nicht in den Sinn kamen.


Wie aufwändig war die Herstellung der Kostüme für diese Produktion?

Okarina: (lacht) Wir sind ja echte Materialfanatiker, das sieht man in all unseren Arbeiten, glaube ich. Da müssen ganz viele Detailentscheidungen gefällt werden.

Für die Walküren-Kostüme beispielsweise waren wir auf der Suche nach einem Material, das eine Archaik hat, die sowohl den Mythos bedient als auch unseren heutigen Sehgewohnheiten entspricht. Die Frage war, wie bekommen wir die Unverwundbarkeit und Entschlossenheit durch die Materialien erzählt, ohne dass es reine Dekoration wird. Während der Suche nach Stoffen, unter anderem auch im Fundus des Theaters,  hat dann irgendwann eine Mitarbeiterin der Schneiderei eine Schublade in der Werkstatt aufgemacht und ein sicher fünfzehn Jahre altes Rauleder in Petrol herausgeholt. Sie sagte: »Das haben wir auch noch, keine Ahnung, woher das ist und wie viel davon da ist, aber das könnte man auch verwenden.« Genau aus diesem Rauleder wurden dann die Uniformen gemacht. Es ist immer erst mal ein Sammeln, Schauen und Ausprobieren. Natürlich hatten wir sehr detaillierte Figurinen, aber die Suche nach den einzelnen Details hat eigentlich hier im Theater stattgefunden, in mehreren Arbeitsschritten. Wir lieben es, Schubladen aufzumachen oder den Fundus nach alten Stücken zu durchwühlen. Der alte Pelzmantel für Hunding ist z.B. auch solch ein Stück, der hing einfach im Fundus und wartete geradezu auf uns. Natürlich haben wir ihn dann noch aufwändig bearbeitet, aber man muss die Vision haben, in den Fundstücken etwas zu erkennen. Und wenn recycelte alte Dinge wie z.B. ein Pelzmantel, den jemand im Fundus vorbeigebracht hat, weil er ihn selbst nicht mehr braucht, auf der Bühne wiederverwendet wird, ist es doch wunderbar!

Wie lange seid ihr zwei jetzt schon ein berufliches Team?

Okarina: Seid ziemlich genau 20 Jahren. Timo und ich haben beide Bühnenbild an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert. Zuerst haben wir zusammen  gearbeitet, dann erst sind wir ein privates Paar geworden.

Timo: Wir haben gemeinsam u.a. bei den Wiener Festwochen assistiert und haben dann nach und nach immer mehr eigene Projekte gemacht, auch getrennt voneinander, bis dann andere gefragt haben, warum wir eigentlich nicht immer zusammen arbeiten

Okarina: Inzwischen machen wir alle Projekte  gemeinsam, weil es gar nicht mehr anders geht.

Wenn ihr nicht Kunst machen würdet, was würdet ihr dann tun? Was beflügelt euch?

Okarina: Ich habe lange überlegt, Psychologie zu studieren.

Timo: Ursprünglich wollte ich Zirkusdirektor werden. Aber schon als  12-jähriger habe ich den Beruf des  Bühnenbildners für mich entdeckt und in meinem Kinderzimmer Bühnenbildmodelle zu sämtlichen Opern gebaut…