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28. Juni 2023

Hallo, was lesen Sie, Aron Stiehl?

Das fragt Manfred Rebhandl in der Tageszeitung Der Standard wöchentlich Menschen des öffentlichen Lebens. Diese Woche: Aron Stiehl, 54, Opernregisseur und Intendant des Stadttheaters Klagenfurt:

Der gebürtige Wiesbadener verfiel sehr früh den Drogen Oper und Operette: »Die Eltern hatten den Fehler gemacht, mich als Kind mit in die Csárdásfürstin zu nehmen. Danach haben sie mir auch noch die MC gekauft, die ich dann jeden Tag viermal gehört habe, und da wussten sie, da stimmt etwas nicht.« Auch Die Zauberflöte schaute er sich schon als Zwölfjähriger 14-mal an!

Literatur gegen Gereiztheit

Gelesen hat er nebenher trotzdem, und er tut es auch heute noch, obwohl: »Man kommt immer weniger dazu, die Welt ist so viel schneller geworden, ich muss mich wirklich zwingen.« Gerade zwingt er sich, wieder einmal den Zauberberg (Stockholmer Gesamtausgabe) zu lesen, den er vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal gelesen hat: »Die Sprache des Buches ist nicht so einfach, da muss man das Handy ausmachen, um der Welt abhandenzukommen. Mann beschreibt darin auch die Musik so wunderbar, er bezeichnet sich ja als Musiker unter den Autoren. Und diese Zeitenwende, die mit dem Donnerschlag endet, dass Hans Castorp aus diesem Davos herausgerissen wird und im Ersten Weltkrieg landet – ich denke, dass das sehr viel mit unserer heutigen Zeit zu tun hat. Diese große Gereiztheit, die Mann in einem eigenen Kapitel beschreibt, diese Ruhe vor dem Sturm, diese Endzeit, wo sich alles ändert und das Unterste zuoberst kommt, das haben wir gerade wieder. Die Menschen wissen nicht, wohin die Reise geht.«

Er hat einen Hund namens Moses, mit dem er gegen die Gereiztheit anwandert. »Und Klagenfurt ist, obwohl es auch hier diese Auseinandersetzungen gibt, deutlich entspannter als Deutschland.« Dort war er gerade für sechs Wochen zum Arbeiten, und dort war es »wirklich schlimm«. Die Österreicher wüssten gar nicht, wie hoch die Lebensqualität hier sei. Ob Literatur als Mittel gegen Gereiztheit helfen könnte? »Unbedingt! Im Moment sind alle viel zu viel draußen und kratzen an der Oberfläche. Dieses Wieder-zu-sich-Kommen, das fehlt den Menschen, das Zentrum und ein Sinn.« Und falls die Welt doch untergeht? »Dann werde ich keinesfalls Wagner hören, sondern die Matthäus-Passion von Bach!« (Manfred Rebhandl, 23.6.2023)