Ein Gespräch mit Choreographin Sabine Arthold (Dance Episodes) über Liebesverwicklungen in der Großstadt, fragile Musik und Kunst in herausfordernden Zeiten.
Markus Hänsel: Das musikalische Programm dieses Tanzabends, dem wir den Titel Dance Episodes gegeben haben, hat gewissermaßen zwei Pole. Im ersten Teil erklingen hauptsächlich Stücke aus Musicals von George Gershwin und Leonard Bernstein, also klassische amerikanische Unterhaltungsmusik aus den 1920er bis 1940er Jahren. Der zweite Teil ist besinnlicher mit dem Trinity Te Deum des lettischen Komponisten Ēriks Ešenvalds sowie Bernsteins Chichester Psalms. Wie hast du dich als Choreographin mit deinen Studierenden von der Performing Academy Wien diesen Werken angenähert?
Sabine Arthold: Dieser erste Teil, der den Geist des goldenen Broadway-Zeitalters atmet, entspricht natürlich unserem ureigenen Metier – das ist Musical par excellence. Damit war auch die Stoßrichtung für die choreographische Gestaltung gesetzt, die sich an die klassische Broadway-Stilistik anlehnt. Und dann wollten wir natürlich auch mit jedem Stück eine Geschichte erzählen. Die Ouvertüre zu Strike up the Band, die den Abend eröffnet, ist etwas zu kurz, um tänzerisch eine größere Erzählung zu entwickeln, daher nutzen wir dieses Stück, um uns als Company vorzustellen. Auch die Three Dance Episodes aus On the Town sind musikalisch sehr kurz und prägnant gefasst, aber wir erzählen hier die Geschichte dreier Liebespaare. An American in Paris öffnet dann den Raum für ein ausführlicheres Story-Telling. Gershwin erzählt musikalisch die Geschichte eines Amerikaners, der etwas überfordert vom Treiben in der europäischen Großstadt ist. Wir haben uns aber mehr an die Handlung des Films von 1951 angelehnt, der eine Dreiecks-Liebesgeschichte in der Nachkriegszeit erzählt. Bei uns ist es der Solist Achim Himmelbauer, der den amerikanischen Kriegsveteranen tanzt, der sich in die Freundin eines Freundes eines Freundes verliebt. Und daraus ergeben sich dann allerhand Verwicklungen.
Die Stücke dieses ersten Teils des Abends verbreiten in ihrer üppigen und farbigen Instrumentation und mit ihren schmissigen Rhythmen gute Laune, haben jedoch alle auch eine dunkle Dimension. Das Musical Strike up the Band erzählt die Geschichte eines Wirtschafts- und später militärischen Krieges, was auch im Marschrhythmus der Ouvertüre hörbar wird. On the Town und An American in Paris sind Liebeserklärungen an die Großstadt, verschweigen aber auch musikalisch die Überspanntheit und Belastung nicht, der ihre Bewohner*innen ausgesetzt sind. Schlägt sich das auch in den Choreographien nieder?
Das überträgt sich automatisch auf die Bewegungen der Tänzer*innen, gerade bei On the Town, wo die Musik oft extrem schnell ist, zeigt sich das in sehr akzentuierten, teilweise staccatohaften Bewegungen. Und auch die Geschwindigkeit ist sehr herausfordernd, da spüren die Tänzer*innen die Hektik und Überspanntheit der Großstadt sozusagen am eigenen Leib.
Bernsteins Chichester Psalms etablieren als geistliche und in weiten Teilen sehr bedächtige Komposition eine ganz andere Klangwelt und Atmosphäre. Wie hast du dieses Stück, auch körpersprachlich, mit den Tänzer*innen erarbeitet?
Die Chichester Psalms waren für uns in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Bevor Nicholas Milton das Werk vorgeschlagen hat, kannte ich es überhaupt nicht. Als ich es mir dann angehört habe, hatte ich großen Respekt davor, es choreographisch umzusetzen. Zum einen, weil Bernstein es aus seiner jüdischen Identität heraus komponiert hat und ich mich erst wieder in diese Kultur einlesen musste – so ähnlich ging es mir auch, als ich vor einigen Jahren einmal Anatevka choreographiert habe. Und für die Studierenden der Academy lag die Herausforderung darin, dass sie mit geistlicher Musik normalerweise nicht arbeiten, weder darstellerisch, sängerisch noch tänzerisch. Ich habe mich dem Werk dann weniger über den Text als über die sehr berührende Musik angenähert und versucht zu spüren, was diese Musik beim Hören eigentlich auslöst. Und die sehr sparsame Orchestrierung, die den musikalischen Schwerpunkt ganz auf den Chor legt, vor allem aber das geradezu himmlische Knabensolo im zweiten Satz, verleihen dieser Komposition etwas sehr Fragiles und gleichzeitig Inniges. Daher steht im Zentrum der Choreographie hier auch ein Pas de deux des Solistenpaares, um auch die existenzielle Dimension der Chichester Psalms choreographisch zu verdeutlichen. Stilistisch setzen wir die zumeist ruhig fließende Musik in einer Mischung aus Contemporary Dance und verschiedenen lyrischen Stilen um.
Ihr habt mit den Proben zu diesem Abend bei euch in Wien an der Academy begonnen und seid erst zwei Wochen vor der Premiere am Stadttheater hier nach Klagenfurt gekommen. Wie hat sich der Prozess des Einstudierens gestaltet?
Wir haben Anfang November mit der Einstudierung begonnen, als wir noch einen relativ normalen Schulbetrieb hatten. Das heißt, unter der Woche hatten die Studierenden ihren Unterricht, und für die Produktion in Klagenfurt wurde dann am Wochenende geprobt. Zuerst haben wir uns den Stücken des ersten Teils gewidmet, und um Weihnachten herum haben wir uns den Chichester Psalms gewidmet. Hier in Klagenfurt sind wir dann an den Feinschliff gegangen und natürlich war es dann ein großer Moment für uns, als wir erstmals mit dem Orchester und später auch mit dem Chor auf der Bühne standen. Vorher hatten wir ja nur mit Aufnahmen geprobt, und wenn da plötzlich ein Orchester aus 60 Personen sitzt und zusätzlich noch 50 Chorsänger*innen auf der Bühne stehen, dann kommt da eine ganz andere und ungewohnte Energie auf. Nicholas Milton geht aber wunderbar auf die Tänzer*innen ein und trägt sie durch die Musik.
Du hast es bereits anklingen lassen, aber diese Produktion ist für euch auch deshalb nicht einfach, weil die Performing Academy insolvent ist und den Ausbildungsbetrieb Ende Oktober schließen musste. Sie ist damit ein erstes Opfer der aktuellen Zeit, in der öffentliche Zuschüsse für Kulturinstitutionen in nichtöffentlicher Trägerschaft eingespart werden. Wie geht es euch angesichts dieser Entwicklung mit diesem Tanzabend in Klagenfurt und wie geht es danach mit den Studierenden weiter?
Die Schule selbst ist bereits abgewickelt. Wir organisieren den Unterricht jetzt so, dass die Studierenden bei den Lehrenden Privatunterricht nehmen. Auf diese Weise können wir den Lehrbetrieb noch bis Ende Februar einigermaßen aufrechterhalten und den dritten Jahrgang zu seinem Abschluss im März führen. Auch beim zweiten Jahrgang sind wir bemüht, die Studierenden zeitnah fit für die Bühnenreifeprüfung zu bekommen. Für die Studierenden des ersten Jahrgangs ist die Situation am schwierigsten. Sie versuchen gerade, an anderen Ausbildungsinstitutionen in Österreich und Europa unterzukommen. Für mich persönlich ist es also sehr schön, noch einmal so eine Produktion in Klagenfurt machen zu können, aber auch sehr schwierig, diese talentierten jungen Künstler*innen zu sehen, mit denen ich sehr gerne weiter zusammengearbeitet hätte. Und es ist einfach schade, dass es diese Talentschmiede jetzt nicht mehr gibt, deren Absolvent*innen in großer Zahl auf nationalen und internationalen Musicalbühnen stehen. Damit sind wir wieder beim
Thema des Abends, der so schön zwischen Heiterkeit und Ernst schwankt. Wir machen eine wunderbare Arbeit zu wunderschöner Musik – aber der Ernst des Lebens und unserer Zeit schwingt auch für uns persönlich immer mit.