Katherine Broderick singt die weibliche Hauptrolle in Tristan und Isolde. Ein Gespräch mit der Sängerin über technische Herausforderungen, ein gespaltenes Selbst und ihr eigenes keltisches Erbe.
von Markus Hänsel / Fotos: Arnold Pöschl
Was ist für dich das Charakteristische an der Figur Isolde?
Katherine Broderick: Isolde ist für mich wie zwei Wesen, die in einem Körper miteinander kämpfen. Ihr öffentliches Gesicht ist das einer Prinzessin von Irland, die eine politische Funktion zu erfüllen hat. Privat ist sie einfach eine junge Frau, die sich verliebt hat. Allerdings widerspricht diese private Liebe ihrer politischen Identität als Prinzessin. Denn Tristan, der Mann, den sie liebt, ist der Feind ihres Landes, der zudem ihren Verlobten getötet hat. Die Liebe zu ihm verbietet sich also und widerspricht allem, woran Isolde selbst glaubt. Dieses gespaltene Selbst bestimmt ihr Handeln im ersten Aufzug bis zu dem Moment, in dem sie und Tristan den Liebestrank zu sich nehmen. Von diesem Moment an existiert sie in einer höheren Sphäre, in der die Spaltung zwischen der Prinzessin und der Liebenden keine Rolle mehr spielt, sondern nur noch die Trennung und das Zusammensein der Liebenden und des Geliebten.
Du hast hier in Klagenfurt bereits Brünnhilde in Götterdämmerung gesungen. Was bedeutet es für dich, nun die Isolde zu singen?
Seit ich Opernsängerin geworden bin, habe ich davon geträumt, eines Tages diese irische Prinzessin zu verkörpern, die ich schon als Kind aus der Artus-Sage kannte. In meinem Zimmer hatte ich schon als Jugendliche das Bild der Belle Isolde von Aubrey Beardsley aus Thomas Malorys Sagensammlung Le Morte Darthur hängen. Das hat vielleicht auch mit meiner Biographie zu tun. Ich habe selbst eine doppelte Staatsbürgerschaft, britisch und irisch. Ich wurde in England geboren, habe aber irisches Blut in meinen Adern. Die Liebe und nostalgische Sehnsucht meines Vaters nach allem Irischen weckte auch in mir eine Leidenschaft für das keltische Kulturerbe, für Literatur, Musik und Folklore.
Richard Wagner hat sich die mittelalterliche Sage von Tristan und Isolde in der für ihn typischen Weise zu Eigen gemacht und seinen eigenen Mythos daraus geformt. Worin bestehen für dich die Herausforderungen seiner Interpretation der Figur Isolde und der Gestaltung der Partie?
Isolde ist wahrscheinlich die anspruchsvollste Partie im Repertoire für eine dramatische Sopranistin. Das liegt zum einen an der schieren Länge der Rolle. Der erste Akt dauert 85 Minuten und der zweite Akt 65 Minuten. Zum Glück hat sie im dritten Akt während der großen Soloszene Tristans eine Pause, bevor sie zum Liebestod wieder auftritt! Aber während des gesamten ersten und zweiten Aktes ist Isolde auf der Bühne, sodass ich als Sängerin eine enorme Ausdauer haben muss. Ich bin nur eine einzelne Person, die ohne Verstärkung ein riesiges Orchester und manchmal sogar die vereinten Kräfte von Orchester und Männerchor übertönen muss. Ich muss gut auf mich achten und meine Kräfte sehr sorgfältig einteilen, damit ich es bis zum Ende der Oper schaffe.
Du sprichst von der Einteilung deiner körperlichen Kräfte. Wie schaffst du es emotional, die Partie durchzustehen?
Das ist die zweite große Herausforderung dieser Rolle: Ich muss die Emotionen der Isolde glaubhaft auf die Bühne bringen, darf mich selbst aber nicht zu sehr davon mitreißen lassen, damit die musikalische Ausgestaltung nicht darunter leidet. Jeder Mensch kennt die körperlichen Symptome emotionaler Erregung: Wir bekommen einen Kloß im Hals, die Brust wird eng, wir bekommen keine Luft. Alles keine guten Voraussetzungen für schönen Gesang! Wir Sänger*innen müssen daher immer einen Weg finden, die Emotionen unserer Figur auszudrücken, ohne dass unsere Fähigkeit zu singen in Mitleidenschaft gerät. Und Isolde erlebt im Laufe der Oper eine unglaubliche Achterbahn der Gefühle: Im ersten Aufzug ist Isolde vom ersten Moment an wütend. Wütend auf sich selbst, wütend auf Tristan, empört darüber, wie ihr Land und ihre Würde vom Feind behandelt worden sind. Im zweiten Aufzug ist sie ekstatisch, verspielt – und einfach verliebt. Die Musik ist endlos chromatisch, mit langen Phrasen und hohen, schwebenden Linien. Der dritte Aufzug handelt dann von Tod und Verklärung. Isolde ist nicht mehr von dieser Welt, sie ist außerhalb der Realität, die Marke, Kurwenal und Brangäne verstehen können.
Was gefällt dir besonders an dieser Produktion am Stadttheater Klagenfurt?
Wagner erzählt die Geschichte von Tristan und Isolde als Kampf zwischen den Kräften des Tages und denen der Nacht. Für die öffentliche Welt des Tages, in der Regeln, Pflicht und Logik das Handeln der Figuren bestimmen (sollten), schreibt er traditionelle diatonische Dur-Moll-Musik. Für die Welt der Nacht, in der Liebe, Chaos und Gefahr die Kontrolle übernehmen, komponiert Wagner jedoch in kompliziertester Chromatik. Diese Dualität von Tag und Nacht wird in unserer Produktion im Bühnenbild, in den Kostümen und der Beleuchtung sehr prägnant herausgearbeitet. Ich empfinde es als große Ehre und Privileg, für mein Debüt in der Rolle der Isolde Teil eines ganz besonderen Teams sein zu dürfen.