Immo Karaman inszeniert mit „Cabaret“ in Klagenfurt sein erstes Musical. Premiere ist am 27. Februar. Ein Gespräch über Parallelen der 1930er-Jahre mit heute, existenzielle Probleme und Erwartungen, die der Regisseur auf keinen Fall erfüllen will.
Sie inszenieren mit „Cabaret“ das erste Musical. War es schwer, Sie zu überreden?
IMMO KARAMAN: Der Vorschlag von Florian Scholz hat mich sehr überrascht. Schließlich waren wir mit „Koma“ schon im 21. Jahrhundert und dann fragt er mich, ob ich mir vorstellen könnte, ein Musical zu machen. Meine erste Reaktion war: nicht wirklich. Aber als er „Cabaret“ genannt hat, habe ich sofort zugesagt.
Wieso?
Es ist ein Stück, das ein unmögliches Sujet für ein Musical zu sein scheint. Ich habe ja ein persönliches Problem mit Webber-Musicals, weil sie sehr hermetisch und die Rezitative musikalisch ganz ausformuliert sind. Hier haben wir eine freiere Form. Wir haben Texte, Schauspiel und die musikalische Bandbreite reicht von großen Broadwaynummern bis zur spannenden Reverenz an Weill und Brecht. Viele Songs könnten direkt einem Brecht-Stück entsprungen sein. Und dieses eigentlich Inkongruente passt sehr gut zu dem Sujet, macht es brüchig und unberechenbar …
… also exakt das, was Ihnen liegt. Mit dem Thema, das nicht zu einem Musical passt, meinen Sie die Zeit, in der es spielt.
Ja, die Zeit vor dem Holocaust, die Zeit, in der die Nationalsozialisten erstarken. Es ist ein Stück über Ausgrenzung, alles läuft auf die Verhinderung des privaten Glücks hinaus. Im Kern ist es die Geschichte einer Dame namens Fräulein Schneider und eines Herrn namens Herr Schultz, die zu ihrem Lebensabend den Mut aufbringen, sich füreinander zu entscheiden. Es geht um Armut, um existenzielle Probleme. Wir erfahren von Fräulein Schneider, dass sie durchaus wohlhabend und schon einmal verheiratet war und mit einer Eigentumswohnung einen bürgerlichen Rückzugsort hatte. Nun ist sie darauf angewiesen, ihre Zimmer zu vermieten. Im Roman ist es noch drastischer, da hat sie nicht einmal mehr ein eigenes Zimmer.
Als Fräulein Frau Schneider kehrt Elfriede Schüsseleder an das Haus zurück, in dem sie bei Herbert Wochinz über Jahre engagiert war.
Ja, ich habe sie mir gewünscht. Vor fünf Jahren habe ich Elfriede Schüsseleder hier in der „Csárdásfürstin“ gesehen und sie ist mir in unglaublicher Erinnerung geblieben. Voller Intensität und Fragilität, aber auch Stärke und großer Aura.
Ihre Sally Bowles ist ganz jung, Anastasia Troska hat 2014 maturiert, das heißt, sie ist Mitte 20.
Die haben wir bei einer Audition in Wien gefunden. Ein Wahnsinn! Sie war nicht nur die Beste von allen, sie war die Perfekte. Sie ist ein ganz großes Talent.
Was ist Sally für Sie für eine Figur?
Ich muss dazu sagen, dass ich mein „Ja“ zu Cabaret vom richtigen Cast abhängig gemacht habe. Mir war es wichtig, ein Ensemble zu haben, das neugierig ist, dieses Sujet zu erforschen, nicht zu bedienen. Sie wissen ja selbst: Wenn man „Cabaret“ hört, dann kommt Liza Minnelli, schwarze Strapse und Bowler Hat, Kurzhaarschnitt … Verrückt! Das ist so festgetackert, das erlaubte mir keine Luft zum Atmen. Deshalb wollte ich ein Ensemble haben, das keine Erwartungshaltung mitbringt, die ich gleich enttäuschen müsste.
Also reden wir über die heutige Relevanz des Stückes …
Genau. Es geht darum, was uns heute interessiert, aufwühlt und wie dieses Stück heute auf uns wirkt. Wenngleich, heute sind wir fast hundert Jahre weiter als die Zeit der Handlung und interessanterweise stellen wir uns dieselben Fragen. Wir sind wieder konfrontiert mit dem Erstarken der Rechten, wir erleben wieder eine Zeit zunehmender Ausgrenzung. Das ist extrem schmerzhaft. In Deutschland und auch in Österreich merken wir, wie die Hemmschwelle fällt, dass Dinge wieder ausgesprochen werden, die vor zehn Jahren ein absolutes Tabu waren.
Und verbrämt wird es mit dem Hinweis, dass man schließlich über alles reden kann.
Ja, Meinungsfreiheit. Aber das ist ein demagogischer Zug, eine gefährliche Entwicklung. Hier beginnt die Verantwortung des Einzelnen. Und wenn uns eine Bühne überlassen wird, haben wir noch größere Verantwortung. Bei „Cabaret“ geht es, so viel kann ich sagen, um ein Abklopfen der Geschichte auf das Hier und Jetzt. Erstaunlich und beunruhigend ist, dass es sofort möglich ist. Wir müssen gar nicht rückwärtsgewandt sein, wir können uns mit dem Stück in Richtung Zukunft bewegen und die richtigen Fragen stellen. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Es war mir wesentlich, die Geschichte nicht über Symbole wie das Hakenkreuz zu erzählen, sondern über die Menschen. Im Ablauf des Abends werden zwar Parallelen von den Dreißigerjahren zu heute sichtbar, aber mehr sage ich dazu nicht, es soll überraschen.
Welche Rolle spielt das Bühnenbild?
Da wollen wir die ausgetretenen Pfade ein bisschen verlassen. Das Motto des Abends ist „Life is a Cabaret“, gleichsam als Metapher dafür, wann ein Leben zum Cabaret wird. Und ein Cabaret ist doch kein glitzernder Showtempel. Es ist ja ein Loch, ein Loch der Ausbeutung und Entwürdigung. Das Cabaret, das hier beschrieben ist, findet irgendwo im zweiten Hinterhof statt, womöglich ohne Konzession. Ständig hantiert der Conférencier mit Zoten, die ja furchtbar sind … Ich sehe eine Not und die sehe ich in jedem Moment. Ich sehe den Verlust von Privatsphäre. Das Schwarzhumorige muss nicht unter den Tisch fallen, aber es muss durch die Eingeweide.