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10. April 2025

Kärntner Traditionen gehören auch queeren Menschen

Noam Brusilovsky, dessen Stück Nicht sehen rund um den Arzt Franz Wurst mit einem Nestroy gewürdigt wurde, kehrt mit dem Stück QUEERinthia ans Stadttheater Klagenfurt zurück.

(Marianne Fischer/Kleine Zeitung)

Im Jahr 2022 hat Noam Brusilovsky mit dem Stück Nicht sehen den Opfern des Kärntner Kinderarztes und Heilpädagogen Franz Wurst eine Stimme gegeben: Er hat mit seinem Team Zeitzeugen ebenso auf die Bühne geholt wie die heutige Jugend und geschickt Vergangenheit und Gegenwart verknüpft – dafür gab es dann auch einen »Nestroy«. Ab Donnerstag widmet sich der israelisch-deutsche Theatermacher in seiner neuen Arbeit erneut dem oft Nicht-Gesehenen: dem queeren Leben in Kärnten anhand einer fiktiven Handlung, aber von sechs realen Biografien.

Werden Sie in Kärnten eigentlich noch oft auf Nicht sehen angesprochen?

Ja, noch immer erzählen mir viele, was sie oder Bekannte mit Franz Wurst zu tun hatten. Das ist erstaunlich, und es ist für mich sehr ungewohnt, dass ich sogar an der Kassa im Supermarkt erkannt werde. Das passiert mir sonst nirgends.

Das Stück Nicht sehen war ein Auftragsstück des Stadttheaters mit einem vorgegebenen Thema. Wie ist das mit QUEERinthia?

Das Thema habe ich vorgeschlagen. Bei unseren Aufenthalten im Land haben wir gemerkt: Kärnten kennt seine queere Geschichte nicht, niemand hat sie dokumentiert. Deshalb wollten wir diesen Menschen, die nicht oft eine Bühne bekommen, diese Bühne geben.

Wie wird das konkret ausschauen?

Was mir sehr wichtig ist: Es soll ein bunter, lustiger, sehr energetischer Theaterabend werden. Wir erzählen von einer versteckten Gemeinde in den Karawanken, die sich QUEERinthia nennt. Im Tal grenzt man sich mit einem Zaun ab, aber dann passieren seltsame Sachen, zum Beispiel verschwinden die Farben. Die QUEERinthis beschließen, ihr Coming-out zu feiern und die Menschen im Tal zum jährlichen Dorffest einzuladen. Da werden Trachten getragen und Traditionen werden »verqueert«, denn die Kärntner Traditionen gehören auch den hier lebenden queeren Menschen. Und immer wieder brechen wir die Fiktion auf und geben Einblick in das Leben unserer Protagonisten und Protagonistinnen.

Sie erzählen dabei die realen Biografien von sechs Menschen aus Kärnten. Wie kann man sich das vorstellen?

Wir haben Dokumentarfilme über diese Menschen gedreht, wir lernen ihr Zuhause kennen, ihre Familien und irgendwann vermischen sich Fiktion und die sogenannte Realität und man weiß nicht mehr: Sind wir in einem Dorf namens QUEERinthia oder sind wir in Klagenfurt? Die Grenzen lösen sich zunehmend auf, denn wir wollen zeigen, dass eine Utopie Realität werden kann.

Wie schwer war es, Menschen zu finden, die sich auf der Bühne öffnen? Da gehört viel Mut dazu.

Wir hatten viel Unterstützung durch queere Initiativen. Die Leute, die wir dann angesprochen haben, waren erst überrascht, dann hat die Annäherung begonnen. Das ist wie ein Tanz, ein Flirt. Wir interviewen sie, stellen viele Fragen, dann entsteht ein Vertrauen und irgendwann können sie auch für sich ein Ziel formulieren, warum sie dabei sein wollen.

Was zum Beispiel?

Zum Beispiel, dass Wunden heilen. Es kann aber auch ein ganz konkretes Ziel sein. Klara Mydia zum Beispiel möchte eine Finanzierung von der Stadt für einen Raum, den ihr Verein Queerinthia nutzen kann. Das sagt sie auch im Stück. Andere erzählen ihre Coming-out-Geschichte und davon, wie schlimm das war. Wir haben Fälle, wo Menschen von ihren Eltern hinausgeschmissen wurden. Ich glaube nicht, dass Theater die Welt verändern kann, aber ich habe ein ganz konkretes Ziel: Falls Eltern in dem Stück sitzen und diese Geschichten hören, bin ich mir sicher, niemand wird Kinder mehr so behandeln, wie die Menschen in diesem Stück behandelt worden sind.

Sie glauben also nicht, dass Theater die Welt verändern kann, aber zumindest den einzelnen Menschen?

Ja. Nach der Matinee zum Beispiel ist eine ältere Frau auf mich zugekommen und hat gesagt: »Ich dachte immer, Queer-Menschen sind viel zu laut und brauchen immer Aufmerksamkeit. Aber nun habe ich verstanden: Die Gesellschaft hat sie so oft verschwiegen, dass sie laut werden mussten.« Man kann die Menschen also erreichen. Nicht, indem man pädagogisch wird, sondern indem man Geschichten erzählt, die man erlebt hat. Dafür bietet sich das Theater super an.

Vor der Premiere von Nicht sehen gab es einige Aufregung, Abonnenten haben ihre Karten zurückgegeben …

… und später war das Stück ausverkauft (lacht). Und nun ist die Aufregung noch größer. Es gab zum Beispiel in einem Online-Medium eine Ankündigung und darunter finden sich extrem viele Kommentare, darunter viele Hasskommentare, auch gegen mich persönlich. Da steht dann auch »Das ist krank« oder »Diese Leute sollen sich von unseren Kindern fernhalten.« Wir haben zur Matinee sogar extra Polizei dazu geholt, weil wir uns gefürchtet haben.

Gewalt und Hass gegen LGBTQ-Personen nehmen zu, in den USA sind nur mehr zwei Geschlechter zugelassen, Ungarn hat Pride-Demos verboten …

… und die AfD in Deutschland demonstriert gegen Queer-Paraden und hat eine lesbische Parteivorsitzende, die den Menschen sagen will, was eine traditionelle Familie ist. Transleute und Non-Binäre-Menschen sind gerade die größte Zielscheibe rechter und neofaschistischer Parteien. Wir müssen uns fragen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Zuerst werden queere Rechte beschnitten, aber dann folgen die Frauenrechte und schließlich alle Menschenrechte, die wir uns hart erkämpft haben. Deshalb ist es wichtig, sich QUEERinthia anzuschauen, wenn man für eine offene Gesellschaft eintreten will: Ich glaube, das Stück stärkt einen sehr.