Anti-Kriegs-Stück und Humanitätsdrama: Iphigenie auf Tauris in der Regie von Anna Stiepani.
(Marianne Fischer/Kleine Zeitung)
Krieg, Flüchtlingsthematik, Patriarchat und der Umgang damit: Goethes Iphigenie auf Tauris entstand Ende des 18. Jahrhunderts, die Themen sind aber universell und hochaktuell: »Wir sind selbst immer wieder überrascht, wie viel Heute in dem Stück steckt«, sagt Anna Stiepani. Die deutsche Regisseurin wollte gerne ein Anti-Kriegs-Stück im Stadttheater Klagenfurt auf die Bühne bringen, und weil sie eine Vorliebe für Utopien hat, wurde es Goethes großes Humanitätsdrama: »Es ist gerade heutzutage wichtig zu zeigen, dass Konflikte auch positiv enden können.« Denn Iphigenie bringt den Taurerkönig Thoas dazu, ihren Bruder Orest nicht zu opfern und sie beide in Freundschaft gehen zu lassen (mehr zu Inhalt und Familiengeschichte siehe Info).
»Verteufelt human« hat Goethe selbst sein Stück genannt. Stiepani ist dabei wichtig, dass Theaterbesucherinnen und -besucher Anknüpfungspunkte finden, denn die 35-Jährige sieht das Stück auch als »schräge True-Crime-Geschichte« vor dem Hintergrund des fluchbeladenen Geschlechts der Tantaliden: »Dass sie am Anfang Heimweh hat und gleichzeitig wütend ist wegen ihres Schicksals, das kann man gut nachvollziehen.« Dazu kommt, dass Iphigenie einst selbst in ihre Opferung eingewilligt hat, damit die Flotte in den Krieg gegen Troja ziehen kann: »Sie war damals vielleicht zwölf Jahre alt und war bereit, für ihr Volk sterben. Das ist ja nur möglich, weil sie indoktriniert wurde«, sagt Stiepani. Auf Tauris, wohin die Göttin Diana sie gebracht hat, »erlebt sie eine große Wandlung: Sie ist es, die Thoas überzeugt, auf Opferungen zu verzichten.«
Gleichzeitig kann Iphigenie feministisch gelesen werden – eine Deutung, mit der die Regisseurin sich schon während ihres Studiums (Theater- und Medienwissenschaft) an der Universität Wien beschäftigt hat: »Im Stück gibt es verschiedene Punkte, an denen Iphigenie ihre Stärke, ihren Mut und ihre Haltung gegenüber Männern behauptet und sich auch von ihnen emanzipiert, indem sie am Ende auf ihre eigene Stimme hört. Interessant ist, dass Goethe die männlich gelesenen Personen das verstehen lässt. Im Übrigen schafft es Iphigenie auch, sich von der Fremdbestimmtheit der Götter zu lösen.«
Die Bühnen- und Kostümbildnerin Jenny Schleif hat für das Drama »einen wunderbaren Raum gebaut, der die Geschichte nicht eindeutig verortet, sondern Raum für viele Referenzen bietet.« Zentral sei vor allem das Symbol der Wolke: »Mit einer Wolke kam Iphigenie nach Tauris und eine Art Dunst umgibt ihre Seele, bis sie am Ende klar sieht und ganz genau weiß, was zu tun ist«, erklärt Stiepani, die während der Ära von Karin Bergmann über vier Jahre lang Regieassistentin am Wiener Burgtheater war.
Seit 2022 ist sie als freiberufliche Regisseurin tätig, eine enge Zusammenarbeit verbindet sie mit der deutschen Dramatikerin Maria Milisavljević – auch in ihren Stücken geht es um aktuell brennende Fragen. Unter anderem brachte sie ihre Stücke über das Thema Pflege (Alte Sorgen, Staatstheater Meiningen) sowie Femizid (Staubfrau, Schauspielhaus Zürich) zur Uraufführung. Auch das nächste Projekt ist wieder eine Zusammenarbeit, und zwar die Uraufführung von Es war Sommer und weil es Sommer war, war es warm im Mai in Meiningen, ein Text über Obdachlosigkeit und darüber, was es bedeutet, für die Gesellschaft unsichtbar zu sein.
In diesen Stücken geht es – wie auch bei Goethe – um »die Notwendigkeit eines besseren Miteinanders«, sagt Stiepani. Diese Botschaft soll am Stadttheater Klagenfurt auch musikalisch unterstrichen werden, und zwar mit der Musik von Karsten Riedel: »Seine Bearbeitungen von Songs machen noch einmal Referenzen auf das Heute auf. Und wird nach hinten hinaus noch einmal zeigen, wo wir hinwollen: zu einer Anti-Kriegshaltung.«
Vorgeschichte: Einst setzte der Halbgott Tantalus den Göttern seinen eigenen Sohn vor, um deren Allwissenheit auf die Probe zu stellen. Die Götter bemerkten den Betrug und verfluchten sein Geschlecht. Agamemnon, sein Urenkel, soll seine Tochter Iphigenie opfern, damit die Göttin Diana die Windstille beendet und die Flotte zum Krieg nach Troja aufbrechen kann. Diana entführt Iphigenie aber auf die Insel Tauris. Ihre Mutter Klytämnestra, die ihre Tochter für tot hält, ermordet Agamemnon nach dessen Rückkehr. Iphigenies Bruder Orest ermordet daraufhin seine Mutter mithilfe seiner Schwester Elektra, während seiner Flucht landet er auf Tauris.
Inhalt: Iphigenie lebt seit zehn Jahren auf Tauris. Der Taurerkönig Thoas möchte sie heiraten. Als Iphigenie sein Werben ablehnt, führt er das von ihr abgeschaffte Gesetz wieder ein, alle auf Tauris angekommenen Fremden der Göttin Diana zu opfern. Der Erste, den diese barbarische Neuerung betreffen soll, entpuppt sich als Iphigenies Bruder Orest.