Home MagazinQUEERinthia – Ein Fest der Vielfalt
14. Juni 2024

QUEERinthia – Ein Fest der Vielfalt

Noam Brusilovskys dokumentarische Inszenierung Nicht sehen wurde 2022 mit dem NESTROY-Preis ausgezeichnet. Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung war das Kärntner Trauma rund um den Fall »Franz Wurst«. Für das Auftragswerk QUEERinthia (UA 10. April 2025) begibt sich der Autor und Regisseur gemeinsam mit der Dramaturgin Lotta Beckers erneut auf Spurensuche in Kärnten: Persönliche Geschichten erzählen von queerer Vergangenheit und Gegenwart und geben Ausblick auf eine Zukunft der Vielfalt.

In deinen Theaterprojekten geht es darum, das Unsichtbare in einer Gesellschaft sichtbar zu machen. Nicht sehen thematisierte sexualisierte Gewalt im Namen der Medizin in Kärnten. Wovon wird QUEERinthia handeln?

Noam Brusilovsky: In diesem Projekt geht es um queere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Kärnten. Wir erzählen von einem Dorf in den Karawanken mit dem Namen »QUEERinthia«. Dort leben queere Menschen, einmal im Jahr feiert man in einem Dorffest die Vielfalt der Identitäten. Dieses Fest möchten wir mit Menschen aus der Region auf die Bühne bringen. Es gibt also einerseits die fiktive Welt, von der wir erzählen und andererseits auch Geschichten von realen Menschen aus Kärnten. Wir richten aber auch den Blick auf die queere Vergangenheit in dieser Region. Viele queere Menschen wurden zu Lebzeiten nicht gewürdigt. Das möchten wir mit QUEERinthia nachholen. Gemeinsam soll an einer Zukunft gearbeitet werden.

Wer sind die Darsteller*innen in diesem Projekt?

Noam Brusilovsky: Wir wenden für QUEERinthia dieselbe Arbeitsweise an wie auch schon für Nicht sehen: Dabei möchten wir uns mit Menschen aus der Bevölkerung austauschen und deren Geschichten auf die Bühne bringen.

Lotta Beckers: Wir haben gerade Zeit in Kärnten verbracht, um uns zu vernetzen. Dabei haben wir Organisationen und Initiativen kennengelernt, Menschen mit besonderen Biografien getroffen und Geschichten gesammelt. Es gibt derzeit noch kein Ensemble, unser Team wird sich erst finden.

Noam Brusilovsky: Die Inszenierung wird mindestens so medial sein wie Nicht sehen. Wir werden sehr viel mit Video arbeiten und einen Dokumentarfilm über das Leben unserer Protagonist*innen drehen.

QUEERinthia ist ein Auftragswerk des Stadttheaters Klagenfurt – was hat dich zu diesem Thema inspiriert?

Noam Brusilovsky: Nach Nicht sehen habe ich mich gefragt, welche Geschichte hier in Kärnten noch nicht erzählt wurde. Ich hatte den Eindruck, dass queere Themen hier noch nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Lotta und ich haben gerade das Musical La Cage aux Folles – Ein Käfig voller Narren am Stadttheater Klagenfurt gesehen und waren total begeistert. Wir finden das Stück absolut gelungen und fantastisch, aber es erzählt immer noch nicht die Geschichte von Leuten aus Kärnten. Und das ist der Auftrag, den wir uns mit QUEERinthia selbst gegeben haben.

Nicht sehen bewegte das Klagenfurter Publikum, es gab in der Bevölkerung viele persönliche Bezüge zum Fall »Franz Wurst«. Wie wichtig ist diese Verortung für QUEERinthia?

Lotta Beckers: Die Themen, die in QUEERinthia verhandelt werden, wären z.B. in Berlin nicht besonders radikal. Dort gibt es viele Menschen, die zu queeren Themen arbeiten. Natürlich hat es auch in Kärnten immer queere Menschen gegeben. Alle wussten davon, aber man hat es hier im ländlichen Raum nicht benannt. Dieser Akt des Benennens war auch bei Nicht sehen hoch politisch aufgeladen. Wir suchen nach spezifisch kärntnerischen queeren Erfahrungen.

Noam Brusilovsky: Wir erzählen einerseits die Geschichte von Unterdrückung, Verfolgung und Scham und gleichzeitig ist QUEERinthia auch ein sehr positiver Anlass: Es soll auf der Bühne eine große Würdigung und ein Fest geben. Queere Themen betreffen nicht nur eine Minderheit, sondern alle Menschen in Kärnten. Es gibt in jeder Familie queere Menschen, es gibt den schwulen Nachbarn oder die lesbische Kollegin. Diese Leute werden oft nicht gesehen. Mit unserem Stück möchten wir dazu beitragen, dass über diese Themen gesprochen wird. In den letzten Jahren wurden hier viele queere Initiativen gegründet. Sie sind alle relativ jung und sehr aktiv. Wir lassen uns extrem inspirieren von den Menschen, die wir hier treffen.

Welche Rolle spielt AIDS in diesem Zusammenhang?

Lotta Beckers: Wir haben uns auch mit der AIDS-Geschichte hier in Kärnten beschäftigt. Viele Menschen hatten kein Coming Out. Es gab keine Menschen, die offen als AIDS-Kranke in der Gesellschaft vorhanden waren. Diese Community hat auch Geschichte geschrieben, sich dokumentiert und wurde so auf traurige Art und Weise sichtbar. So wurde eine Form von Gemeinschaft erzwungen.

Noam Brusilovsky: In den Großstädten sind damals auch viele Menschen an AIDS gestorben, die Familien konnten das oft nicht annehmen, es wurde viel verschwiegen. Aber es gab dort eine Community, die sich gegenseitig sehr gut unterstützt hat. Und das gab es in Kärnten nicht in dieser Form. Diese Menschen sind sehr einsam gestorben.

Wie können Brauchtum, Traditionen und eine »bunte Gesellschaft« zusammenfinden?

Lotta Beckers: Es gibt im Kärntner Brauchtum sehr tradierte Geschlechtervorstellungen, die wenig Spielraum ermöglichen. Wir haben z.B. den Brauch des »Kufenstechens« kennengelernt. Queere Menschen stehen unter einem enormen heteronormativen Druck, sich dennoch als »richtiger« Mann oder als »richtige« Frau verhalten zu müssen. Es gibt in den weitergeführten Traditionen wenig Raum für eine Geschlechtervielfalt. Außerdem ist uns bewusst, dass auch die Slowenische Minderheit in Kärnten eine wichtige Rolle spielt. In unserem Stück geht es nicht nur um sexuelle Orientierung, sondern auch um Identitätsvielfalt. Unsere spekulative Frage ist natürlich auch: Was für eigene queere Traditionen haben sich etabliert? Und darauf wollen wir mit dem Dorffest in QUEERinthia auch hindeuten.

Noam Brusilovsky: Wir fragen uns auch, wie wir diesen Traditionen andere Farben geben und sie auch ein bisschen weiterentwickeln können.

Was möchtet ihr mit dem Stück QUEERinthia außerdem bewegen?

Lotta Beckers: In unserer Gegenwart gibt es einen Mangel an Utopien, die man einer Unterdrückung entgegensetzen kann. Theater ist ein wichtiger Ort, um Vorstellungen von Zukunft zu entwickeln. Was braucht man für eine gemeinsame Zukunft, abgesehen von Minimalanforderungen wie z.B. medizinisches Fachpersonal für Trans-Personen oder Anlaufstellen für queere Menschen?

Noam Brusilovsky: Wir wünschen uns, dass durch das Stück queeres Leben in Kärnten mehr Anerkennung und Würdigung erfährt.