Die Wiener Künstlerin Sabine Wiedenhofer begeistert mit ihren Werken. Am 31. Mai feiert das von ihr optisch fulminant gestaltete Verdi-Requiem in Form einer »Messe für die Menschheit« Premiere. Der Talk über die Kunst als Männerdomäne und ihre harte Kindheit. (oe24.at/Madonna)
Wer in Sabine Wiedenhofers Haus Tristesse erwartet, wird schnell eines Besseren belehrt. Pures, schönes Leben erwartet einen in dem von der Wiener Künstlerin liebevoll gestalteten Haus. Wenn ihre Kids (17 & 19) nicht da sind, sorgt Hündin Lola für Bewegung, französische Musik läuft im Hintergrund, während die topgestylte Powerlady ein Gläschen Crémant serviert. Edles Savoir-vivre-Flair, das jedoch keineswegs über die Tiefgründigkeit der Malerin und Bildhauerin hinwegtäuschen kann.
»Ich habe wochenlang nur Reis gegessen…«
Ihre Werke, darunter ihre legendäre »Mensch, ärgere dich nicht«-Installation, sorgen bei renommierten Messen sowie bei der Biennale di Venezia für Furore. Auch Wiedenhofers aktuellstes Werk wird beeindrucken. Mit MADONNA sprach die sympathische 50-Jährige über die – sehr ernste – Inspiration zur »Messe für die Menschheit« und erstmals offen über ihre harte Kindheit in einer Welt, die ihrer heutigen völlig fern ist, ihrer Kunst jedoch stets nah sein wird.
Wir durften Sie in Ihrem wunderschönen Zuhause besuchen, in dem man natürlich viele Werke von Ihnen findet. Welche Rolle spielt Kunst in Ihrem privaten Lebensraum? Sind das Werke, die »nur« Ihnen gehören?
Sabine Wiedenhofer: Nein, die wechseln andauernd. Manche kommen auf Kunstmessen, andere in Galerien… dann hänge ich hier wieder um. Andere stellen Möbel um – ich hänge Bilder um. (lacht) Wobei ich die Arbeiten alle als meine Babys betrachte, jedes einzelne erzählt eine eigene Geschichte. Und manchmal ist es richtig schwer für mich, sie herzugeben. Aber ich muss natürlich, sonst kann ich nicht weitermachen. Die Materialien, mit denen ich arbeite, sind ja sehr teuer. Ich werde oft gefragt, was Luxus für mich ist: Der größte Luxus ist für mich, arbeiten zu können, ohne Einschränkungen durch hohe Produktionskosten zu haben.
Das war bestimmt nicht immer so …
Wiedenhofer: Gar nicht! In meinen Anfängen habe ich wochenlang nur Reis gegessen, um mir das Arbeitsmaterial kaufen zu können. Ich bin ja in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen.
Wie und wodurch hat sich Ihre Liebe zur Kunst entwickelt?
Wiedenhofer: Kunst ist etwas – und ich glaube, so geht es jedem Künstler –, das rausmuss, wenn du sie in dir hast. Ich habe schon als Kind immer gemalt und mich aus dieser Welt, in der ich aufgewachsen bin, hinausgezaubert. Ich bin in einer sehr heftigen Gegend – am Rennbahnweg –, ausgestattet mit viel Temperament von meinem italienischen Vater und meiner ungarischen Mutter, aufgewachsen und habe viele Dinge wahrgenommen, die ein Kind eigentlich nicht sehen sollte. Als ich fünf war, sah ich zum ersten Mal einen abgestochenen Menschen, ein Jahr später wurde mein Vater niedergeschossen. Es war ein ziemlich raues Pflaster im Wien der 70er-Jahre. Vielleicht wollte mich mein Vater auch schützen und hat mich deshalb als Bub erzogen. Ich musste kurze Haare tragen und seine Regeln befolgen. Er nahm mich ins Wirtshaus mit, ich bekam wenig Schlaf und kaute mein Frühstückskipferl in der Straßenbahn, weil zu Hause dafür keine Zeit war. Dieses »andere Leben« machte mich damals auch oft zur Außenseiterin.
»Hätte ich die Kunst nicht gehabt, wäre ich wohl in einen Drogensumpf abgerutscht…«
Das Malen wurde zu Ihrem Ventil?
Wiedenhofer: Sagen wir es so: Hätte ich die Kunst nicht gehabt, glaube ich, wäre ich so wie fast alle anderen, die mit mir aufgewachsen sind, in einen Drogensumpf abgerutscht oder wäre zumindest nie aus dieser Welt rausgekommen. Ich habe in einer Zauberwelt gelebt und war ein totales Fantasiekind. Meine Fantasien waren für mich real, alles Schlimme, was mir tatsächlich passiert ist, habe ich über mich ergehen lassen, aber habe es ausgeblendet.
Was haben Sie in dieser Zeit gemalt?
Wiedenhofer: Als ich etwa acht Jahre alt war zum Beispiel, hat meine Mutter von einem Urlaub geträumt, den wir uns ja nie leisten konnten. Sie wollte so gerne einmal einen Urwald sehen. Während sie einkaufen war, habe ich die Toilettenwände komplett in einen Dschungel verwandelt, mit Vögeln und Affen. Ich wollte, dass sie, wenn sie auf Urlaub gehen will, einfach nur ins WC gehen muss. Aber das Einzige, was sie gesagt hat, war: »Oh Gott, was ist, wenn das der Papa sieht?! Wo ist die Farbe, wir müssen das sofort übermalen!«
Wann sind Sie aus dieser Welt ausgebrochen?
Wiedenhofer: Mit circa 14 bin ich für drei Monate mit meinem damaligen Freund nach Amerika abgehaut. Wir waren damals sehr erwachsen. Bis ich in die Kunstszene – durch Zufall – eingestiegen bin, habe ich mich mit vielen Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Als ich mit etwa 20 auf der Summerstage hinter der Bar gearbeitet habe, hat mich Norbert Ivanek (Künstler & Ö3-Reporter, Anm.) auf Fotos meiner Arbeiten, die ich zufällig dabei hatte, angesprochen und gefragt, ob ich in seinem Café Kultur ausstellen möchte. Das war dann meine erste Ausstellung.
»Mit wem ist die Blonde wohl ins Bett gestiegen…?«, hieß es 2017 bei der Biennale
Heute zählen Sie zu Österreichs Kunstgrößen. Wie schwer war es, sich ohne jegliche Kontakte, aus einer völlig anderen Welt kommend, in dieser Szene zu positionieren und respektiert zu werden?
Wiedenhofer: Respektiert wird man in der Kunstwelt, wenn man tot ist. Bis dahin polarisiert man. Vor allem als Frau. Als ich 2017 eingeladen wurde, bei der Biennale di Venezia »TriBeCa« auszustellen, wurde über mich gesagt: »Mit wem ist die Blonde wohl ins Bett gestiegen, dass sie dabei sein darf?« Das ist das Wording, das man dann hört, wenn man als Frau nicht dem entspricht, was man sich von einer Künstlerin vorstellt, und sich nicht völlig androgyn und ungeschminkt der Weiblichkeit entzogen hat. Dabei geht es doch nur um die Arbeit und Sinnhaftigkeit dieser. Wenn man ihr kein Geschlecht geben würde, gäbe es ein Equal Standing und damit weit mehr Objektivität. Dann geht es nur darum: Spricht es mich an oder nicht?
Sie haben sich als Kind mit der Kunst in eine andere Welt geflüchtet. Tun Sie dies heute auch und wenn ja, in welche?
Wiedenhofer: Ich denke schon. Ich schaue nicht fern, sehe keine News, lese keine Zeitungen. Das ist in gewisser Weise realitätsfremd. Andererseits: Warum muss ich mich tagtäglich unfassbar traurig machen lassen? Wir alle teilen uns einen Planeten, den wir aufs Allerärgste ausgebeutet haben. Solange wir nicht begreifen, dass Mutter Erde uns nicht gehört, sondern dass wir hier nur eine begrenzte Zeit lang leben dürfen und uns den Erdball teilen müssen, enden wir in einer Katastrophe. Die Stimmung, die durch sämtliche Kanäle verbreitet und auch gezielt eingesetzt wird, zieht mich runter. Ich lebe natürlich nicht hinter dem Mond, aber beschäftige mich mit den Themen meist nur in Bezug auf meine Arbeit.
Wie kann man sich das vorstellen?
Wiedenhofer: In Vorbereitung auf eine Arbeit recherchiere ich wie besessen alles zu dem jeweiligen Thema, das ich aufgreife. Da sauge ich dann alles auf: die Geschichte, die Hintergründe, die aktuellen Ereignisse …
Das muss dann ja wie ein Tsunami an Bad News für Sie sein.
Wiedenhofer: Ganz furchtbar. Vielleicht macht mich aber auch genau das so kreativ. Die »Mensch, ärgere dich nicht«-Figur für die »So sorry! Alea iacta est«-Installation ist ja auch so entstanden: die Mathildas, wie ich die Figuren nenne, sollen zeigen, wie transparent wir Spielfiguren auf dem Spielfeld Erde sind. Wir müssen ganz schnell von A nach B huschen … und dann die Frage: Wie oft haben wir jemanden rausgeschmissen, wie oft müssen wir zurück zum Start, um wieder am Spiel des Lebens teilzuhaben, wo jeder nur ein Ziel hat: ein sicheres Dach über dem Kopf.
Ihr aktuellstes Projekt ist die Gestaltung des Verdi-Requiems, das Intendant Aaron Stiehl mit Christine Marquardt auf die Stadttheater Klagenfurt-Bühne bringt …
Wiedenhofer: Ich wurde eingeladen, ein 14 mal 8 Meter großes Bühnenbild zu malen. Im Zuge der Vorbereitung hat mich die Wut gepackt – ein so großes Musikstück für nur eine Person … einem einzigen diese Wichtigkeit zu geben, das ist doch völlig absurd, in einer Zeit, in der es schon zwei nach zwölf und nicht zehn vor zwölf ist! Weshalb ich diese Totenmessen nur einer einzigen widmen wollte: Mutter Erde! Wir sind kleine Würmchen und es gibt keinerlei Grund, dem Menschen, einem Wichtigtuer, eine ganze Messe zu widmen. Denn wenn wir nicht kapieren, dass wir uns Land, Rohstoffe und alles Gut teilen müssen, werden wir niemals lernen, worfür Jesus gestorben ist. Klingt blöd, aber ich bin sehr gläubig.
»Kunst ist eine Sprache, die jeder versteht«
Und so wurde aus einem 14-mal-8-Meter-Bild ein fulminantes Bühnenwerk, das sich förmlich in den Menschen auf der Bühne widerspiegelt …
Wiedenhofer: Ja, das musste sein. Und da geht es mir in keinster Weise um Geld. Das Projekt sprengt ohnehin so ziemlich alles. Mir geht es darum, einen Eyeopener zu gestalten und die Menschen zum Nachdenken anzuregen.
Kann die Kunst etwas bewegen?
Wiedenhofer: Oh ja! Jedes Lied, jede Oper, jedes Bild … Du hörst und du fühlst. Du siehst und du fühlst. Kunst ist eine Sprache, die jeder versteht. Du kannst ohne Worte Gefühle vermitteln und brauchst nichts zu erklären, weil ohnehin jeder eine eigene Wahrnehmung hat.
»Ich wollte immer eine Mutter sein…«
Sie sind zweifache Mutter. Was ist Ihnen als solche besonders wichtig?
Wiedenhofer: Ich wollte immer eine Mutter sein, die bei ihren Kindern ist, die sie beschützt, sie liebevoll erzieht und ihnen ganz viel Sicherheit gibt. Die Sicherheit, die ich selbst als junge Frau nur dann hatte, wenn ich in meine Welt der Kunst abtauchen konnte.