Mit seinen 88 Prozent Auslastung überflügelt das Stadttheater Klagenfurt inzwischen sogar das Salzburger Landestheater. Unter Intendant Aron Stiehl ist dessen internationale Reputation noch einmal gewachsen, die Bedeutung als Wirtschaftsfaktor auch. (mut-magazin.at, Gilbert Waldner, Foto: Helge Bauer)
Schon im Vorzimmer wird man vom schweifwedelnd schnuppernden Moses freundlich empfangen. Sieben Jahre ist der bühnenerprobte Hund bereits an der Seite des Intendanten. Und natürlich ist dieser Name eine Anspielung: Moses und Aron, unter dem Titel firmiert auch ein Opernfragment des berühmten österreichischen Komponisten Arnold Schönberg. Noch ist die Tür zum Intendantenbüro geschlossen, aber Moses begehrt pfotenwetzend Einlass. Was alsbald den gewünschten Erfolg hat. Stiehls Reich ist vollgestopft mit originell kombinierten Requisiten längst ausgelaufener Produktionen, dicht an dicht gestellten Pappmodellen von historischen Bühnen oder Puppenhäusern. Hier arbeitet er also, dieser Aron Stiehl, der von sich selbst sagt, dass er ein Kind geblieben sei oder wenigstens eine Kinderseele habe. Da können wir ihn uns gut vorstellen, den kleinen Aron, der daheim in Wiesbaden seine Eltern mit seiner Begeisterung für das Musiktheater genervt hat. Vierzehnmal hintereinander wollte er allein Mozarts Zauberflöte sehen. Und schön, dass er diesen Traum später auch zum Beruf machen konnte.
Überzeugender Kärnten-Botschafter
Nach Jahrzehnten als freischaffender Regisseur im Bereich Musiktheater hatte er vom vielen Reisen und dem Leben aus dem Koffer genug. Er suchte sich eine Heimat und wurde im Stadttheater Klagenfurt fündig. Er kannte das schmucke Jugendstilhaus mit dem futuristischen Zubau von Günther Domenig, weil er hier schon erfolgreich inszeniert hatte. Aber der Schritt, hier auch Verantwortung für Organisation und Spielplan zu übernehmen, war dann doch groß. Erst auf Nachfrage räumt er ein, dass das das deutlich mehr Arbeit bedeute. »Aber ich habe ein Zuhause«, schickt er gleich freudig hinterher. Er liebe dieses Land, entdecke immer wieder neue Ecken und habe heuer auch bewusst hier seinen Urlaub verbracht. Er ärgert sich inzwischen regelrecht, wenn Kärnten schlecht geredet wird. Einen überzeugenderen Kärnten-Botschafter wird man kaum finden, auch wenn ihm die Schattenseiten durchaus bekannt sind. Aber dazu später.
»Das Theater ist mitten in der Gesellschaft angekommen«, Aron Stiehl, Intendant des Stadttheaters Klagenfurt.
Weltoffenes Image
Mit seinem Stadttheater trägt er jedenfalls enorm positiv zu diesem weltoffenen kulturaffinen Image des Landes bei. Ein sogenanntes Provinztheater, das innerhalb von vier Jahren Richard Wagners gesamten Ring des Nibelungen in beispielhaften Inszenierungen auf die Bühne stemmt, das macht Stiehl so schnell keiner nach. Immer häufiger sitzen die renommierteren Theater- und Opernkritiker aus Wien im Publikum. Die Wagner-Vereine haben hier ohnehin schon eine neue Pilgerstätte gefunden. Das klassische Klagenfurter Abo-Publikum hat eindeutig Konkurrenz bekommen.
88 Prozent Auslastung
Mit einer Auslastung von 88 Prozent hat das Stadttheater etwa im Vorjahr sogar das vergleichbare Salzburger Landestheater überflügelt, das nur auf 85 Prozent kam. Die bunte Mischung aus großer Oper, Operette, Schauspiel und – nicht zu vergessen – Kindertheater zieht. Mit seiner Kernsubventionen von 16,7 Mio. Euro, die zu 60 Prozent vom Land und 40 Prozent von der Stadt finanziert werden, ist das Theater – wie Stiehl es ausdrückt – mitten in der Gesellschaft angekommen.
Mehr Publikum als Fußball
Mit seinen 271 fix Angestellten, die sich aus Orchester, Chor, Technik, Werkstätten & Co. rekrutieren, plus den Gästen ist das Stadttheater ein ordentlicher Mittelbetrieb. Und zwar einer, von dem die Privatwirtschaft im Umfeld deutlich mehr profitiert als von anderen Bereichen des Öffentlichen Dienstes. Stiehl zitiert eine WIFO-Studie aus dem Jahr 2020, die die Kultur allgemein als einen der dynamischsten Wirtschaftszweige Österreichs ausweist. Jeder hier investierte Euro zahle sich fast sechsmal zurück, freut sich der Intendant über die Umwegrentabilität. Gastronomie und Hotellerie, Handel, verschiedenste Dienstleistungen – so ein Theaterbesuch strahlt weit in die regionale Wirtschaft aus. Wer hätte übrigens gedacht, dass ebenfalls laut WIFO mehr als fünfmal so viele Menschen in Österreich Theater, Off-Theater und Festivals besuchen als Spiele der österreichischen Fußball-Bundesliga? Jenen, die in Zeiten massiven Spardrucks auch einen Obolus der Kultur einfordern, hält Stiehl übrigens Winston Churchill entgegen. Selbst unter größter Bedrängnis der deutschen Angriffe im Zweiten Weltkrieg wies dieser solche Ansinnen mit den Worten zurück: »Wenn wir im Krieg keine Kultur fördern, wofür kämpfen wir dann?«
Kultur ist standortentscheidend
Die wirtschaftliche Ausstrahlung ist gar nicht der einzige positive Effekt. Das Kulturangebot ist auch für viele Menschen standortentscheidend. Wenn internationale Fachkräfte mit speziellen Qualifikationen dringend gesucht werden, zählen am Ende auch solche weichen Faktoren. Stiehl sieht sich da durchaus in das größere Gefüge des Alpen-Adria-Raums eingebettet. Kooperationen mit Theatern in Triest, Ljubljana und (vor allem nach Fertigstellung der Koralmbahn) Graz laufen oder sind in Verhandlung.
4.000 Jugendliche zusätzlich
Ein großes Anliegen ist Stiehl auch die Jugendarbeit. Im Bereich Theaterpädagogik und spezieller Angebote für Jugendliche ist in den vergangenen Jahren einiges gelungen. »Theater bedeutet auch Bildung«, ist er überzeugt und hat über ein Sponsoring der Volksbank 4.000 Jugendliche zusätzlich ins Theater gelockt. In den Jugendclubs werde heftig diskutiert. So manches anfangs stille Mäuschen sei hier zur Persönlichkeit gereift, freut sich Stiehl. Theater fördere das selbständige Denken und mache Menschen weniger empfänglich für Volksverführung, wie er sich ausdrückt. Da spürt man dann förmlich die tiefe innere Überzeugung dieses aufgeklärten Humanisten, seinen Abscheu vor Verhältnissen wie in den USA oder in Ungarn. Nicht ohne Grund bringt er Stücke wie Goethes Iphigenie auf die Bühne, die menschliche Lösungen in scheinbar ausweglosen politisch-emotionalen Konflikten aufzeigen.
Kinderarzt und queeres Kärnten
Als überaus erfolgreich erwiesen sich aber etwa auch die beiden Produktionen von Noam Brusilovsky, die den Finger direkt in Kärntner Wunden legten, mit vielen direkt Beteiligten Diskussionsräume öffneten. Einmal im Fall des Kinderarztes und Päderasten Franz Wurst, ein anderes Mal unter dem passenden Titel QUEERinthia zur Situation queerer Menschen im Land. Stiehl will damit bewusst ein Gegengewicht zu eindimensionaler Politik oder Schüren von Hass auf Andersdenkende oder Ausländer schaffen. Im Theater dürfe lauthals gestritten werden, die Politik wünscht er sich hingegen ruhig, sachorientiert, ja sogar langweilig. Denn er ist sich inzwischen der Kärntner Besonderheiten durchaus bewusst. Er spricht offen von der »unrühmlichen Berühmtheit«, die das Land durch die Politik Jörg Haiders erlangt habe. Oder darüber, dass es allein aufgrund der Tatsache, dass das Publikum vor der Vorstellung auch auf Slowenisch darauf hingewiesen werde, die Mobiltelefone abzuschalten, Abokündigungen gegeben habe. Das hält das Theater aus. Zur Rückendeckung zitiert er hier Otto von Habsburg: »Nationalismus ist Gift«.
Spielzeit 2025/2026
Die neue Spielzeit 2025/2026 beginnt am 18. September mit Wagners Oper Tristan und Isolde, die Stiehl selbst inszeniert. Und der Intendant setzt hier heuer auf den Perspektivenwechsel. Denn das Thema Liebestrank kommt heuer mit Gaetano Donizettis Liebestrank (19. März) gleich noch in einer zweiten Oper auf die Bühne. Das bleibt übrigens im Bereich Musiktheater nicht das einzige Gegensatzpaar. Auch Offenbachs Orpheus in der Unterwelt (11. Dezember) wird mit Glucks Orfeo ed Euridice (5. Feber) kontrastiert. Im Bereich Schauspiel darf man gespannt sein auf die dramatisierte Fassung von Maria Lazars Roman Die eingeborenen von Maria Blut (26. Feber), die im Burgtheater zum Sensationserfolg wurde, außerdem auf den Komödienklassiker Arsen und Spitzenhäubchen (8. Jänner) mit Publikumslieblingen wie Petra Morzé, Julia Stemberger und Andreas Patton. Dazu kommt die Uraufführung von Moritz Franz Beichls Die Frau vom Meere nach Henrik Ibsen (9. Oktober). Im Bereich Kindertheater wird Aron Stiehl übrigens erstmals auch ein Kinderstück inszenieren: den Räuber Hotzenplotz (20. November). Apropos Kindertheater. Das Stadttheater kooperiert ja auch immer wieder mit der Kärntner freien Szene. Diesmal mit dem Theater WalTzwerk beim Stück Die Wanze (29. Jänner).
Konzerte und Ballett
Traditionell gibt es dazu übrigens noch etliche Konzerte des Kärntner Symphonieorchesters. Das Publikum ist schon sehr gespannt auf den neuen Dirigenten Chin-Chao Lin, der Nicolas Milton beerbt hat. Er wird sich am 9. Oktober u.a. mit Mahlers 4. Symphonie vorstellen. Ballettfreunde dürfen sich u.a. auf Ravels Bolero in der Choreografie von Renato Zanella im Rahmen eines Gastspiels des SNG Opera in balet Ljubljana freuen (mehrere Aufführungen ab 30. Oktober). Ein buntes Programm also, das das Zeug hat, die Auslastung des Stadttheaters noch einmal zu erhöhen.