Am 19. September startet das Stadttheater Klagenfurt mit der »Tosca« in die neue Saison. Regisseur Immo Karaman über die Herstellung von Realitäten und Mord auf der Bühne.
Marianne Fischer-Ringhofer/Kleine Zeitung
Foto: Markus Traussnig
Sie inszenieren bereits das sechste Mal am Stadttheater Klagenfurt. Fühlen Sie sich hier schon ein bisschen zuhause?
Immo Karaman: Ja, tatsächlich. In meinem Theaterleben ist das Stadttheater eine schöne Konstante und es sind hier auch Produktionen entstanden, die in meinem Karriereverlauf sehr wichtig für mich sind, etwa Koma. Das war ein Meilenstein, so eine Grenzerfahrung auf die Bühne zu bringen, weil ja der Raum stockdunkel sein musste. Und so ist auch eine weitere Zusammenarbeit mit dem Komponisten Georg Friedrich Haas entstanden, es sind also auch Impulse von Klagenfurt ausgegangen.
Sie haben aber auch Prokofjews Die Liebe zu den drei Orangen, Brittens A Midsummer Night´s Dream oder Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk hier auf die Bühne gebracht. Die »Tosca« fällt da fast ein bisschen aus dem Rahmen als …
. . . Repertoireknaller? (lacht) Ja, das ist nicht unbedingt auf der Linie unserer Stücke bisher. Mein Mann Fabian Posca und ich sind ja ein Regieduo – er macht die Kostüme und die Choreografie – und wir haben uns lange gegen Puccini gesträubt. Er gibt dem Regisseur unglaublich viel vor, nicht nur durch die Regieanweisungen im Klavierauszug, sondern vor allem durch die Vertonung der einzelnen Situationen, der Momente, der Gesten, der Auftritte, der Blicke, das ist alles höchst akribisch in der Partitur festgehalten. Dem muss man sich als Regisseur stellen. Da ist es enorm wichtig, auch eine weitere Ebene einzieht, die uns als Regieteam dann interessiert.
Wo haben Sie diese Ebene gefunden?
In der Herstellung von Realitäten, das ist ein ganz großes Thema in der »Tosca«. Wenn eine Hauptfigur in einer Oper eine Opernsängerin ist, dann gehen Realität und Fiktion ineinander über, dann verwischen die Grenzen zwischen Darstellerin und Dargestelltem. Vordergründig haben wir hier einen ungemein spannenden Opernthriller mit einer schillernden Titelfigur, aber in einer zweiten Ebene geht es um Realität und Realitätserschaffung. Tosca lebt in einer Welt des Theaters und sie wird in dieser Welt auch zur Regisseurin, indem sie in den Plan zur Scheinhinrichtung ihres Geliebten einwilligt. Sie gibt Cavaradossi ja dann sogar Anweisungen, sagt, er möge möglichst realistisch stürzen, wenn die Schüsse fallen und sie feiert ja noch, wie toll er das gemacht hat. Und da ist der Punkt: Wann wird Kunst authentisch, wann wird Kunst zum Leben? Man hat ja auch den Eindruck, dass Tosca den Bezug zur Realität vollkommen verloren hat und dann wird sie mit Scarpias Realität konfrontiert und das lässt sie zerbrechen.
Der Polizeichef Scarpia wiederum repräsentiert ein totalitäres System . . .
. . . und auch ein totalitäres Regime schafft sich seine Realität. Diese Welt von Scarpia ist ja auch eine einzige Inszenierung – etwa wenn er Tosca unter Druck setzt und inszeniert, dass im Nachbarraum ihr Liebhaber gefoltert wird, auch, um eine Privatvorstellung von Tosca in seinen Räumen erleben zu dürfen. Dieser Scarpia ist ja auch vom Theater besessen und es ist ja oft bei Autokraten so, dass sie das Bedürfnis haben, Kunst für sich zu vereinnahmen. Es sind ja zwei Welten, die hier aufeinandertreffen: die der Kunst und die der Kontrolle. Leider ist das andere System oft stärker, argumentativ so bösartig-raffiniert, dass wir mit der Ehrlichkeit der Kunst nicht dagegen ankommen.
Wird es schwieriger, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten?
Ja, und das hat mit vielen Dingen zu tun, unter anderem auch mit den Fragen der Political Correctness. Wir können ja oft gar nicht mehr anarchisch ausbrechen. Theater muss auch den Zündstoff der Unberechenbarkeit im Gepäck haben. Natürlich gibt es viele Diskussionen, die wichtig und richtig sind, aber jetzt gibt es schon Trigger-Warnungen, etwa wenn ein Mord in einem Stück vorkommt, und da fragt man sich schon: Wohin führt das noch?
In welcher Zeit verorten Sie Ihre »Tosca«?
Ohne das zu deutlich erzählen zu wollen, haben wir uns gefragt: Wo haben wir die letzte Diva im Opernbereich erleben dürfen? Die Tosca war die letzte große Rolle von Maria Callas, ihre Einspielung ist auch nach wie vor die Referenzaufnahme. Wir haben uns auch viele Fotodokumentationen angeschaut, die damals entstanden sind und das hat uns sehr berührt, denn die Szenen fanden in einer unglaublichen Dringlichkeit statt. Ich habe mich ja immer auch gefragt: Warum ist Tosca zu diesem Mord fähig?
Und warum ist sie dazu fähig?
Ich glaube, weil sie das als Opernsängerin auf der Bühne gelernt hat, weil sie weiß, wie man mit einem Messer zusticht und den Körper dafür nutzt, denn das trainiert man ja. Bevor ich zum Theater gekommen bin, hätte ich es nicht geschafft, einen Stuhl durch den Raum zu pfeffern. Man lernt diese Dinge. Ich habe mich auch immer gefragt: Was macht es mit Darstellern, wenn sie Abend für Abend auf der Bühne einen Mord begehen? Man begibt sich da auf der Bühne in eine Energie, die man nicht sofort wieder abstellen kann. Auch da wird das, was Tosca auf der Bühne gelernt hat, also zur Realität.
Immo Karaman. Geb. 1972 in Gelsenkirchen, wo er am dortigen Theater als Regieassistent seine Laufbahn startete. Hat mittlerweile an vielen großen Theatern und Opernhäusern inszeniert, darunter der Berliner Staatsoper, Deutsche Oper am Rhein, Semperoper Dresden, Finnische Nationaloper etc. Nominierungen für den deutschen Theaterpreis „Faust“ (2010) sowie den Österreichischen Musiktheaterpreis (2023).
www.immokaraman.de