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1. September 2020

»Wir wollen zeigen: Kärnten, wir sind hier!«

Ab heute (1. September) ist Aron Stiehl neuer Intendant der Stadttheaters Klagenfurt. Ein erstes Gespräch über die Herausforderungen der Zeit, die Hoffnung auf die Treue der Abonnenten und die Öffnung des Hauses.

von Marianne Fischer (Kleine Zeitung)

Fotos: Helmuth Weichselbraun

Der Mantel, den Jonas Kaufmann bei seinem Debüt in der Saison 1998/99 im Stadttheater Klagenfurt als „Titus“ trug und ein ausladendes, rosa Spitzenkleid aus der Oper „Giulio Cesare in Egitto“. Ein Grammophon, wie es Thomas Mann im „Zauberberg“ beschrieben hat und ein altes Telefon mit richtiger Wählscheibe – beides selbstverständlich funktionstüchtig: Aron Stiehl hat seinem neuen Büro längst seinen Stempel aufgedrückt. Denn auch wenn heute sein erster offizieller Arbeitstag als Intendant des Klagenfurter Stadttheaters ist, war der gebürtige Wiesbadener schon den ganzen August vor Ort. Nicht nur, um die Wohnung in der Kreuzbergl-Gegend zu beziehen, wo er nun mit Cocker Spaniel Moses auf den Spazierwegen anzutreffen ist, sondern um „sein“ Haus auf die herausfordernde Corona-Zeit vorzubereiten.

Haben Sie sich schon eingelebt?
Aron Stiehl: Ich habe ja schon ein Jahr in Klagenfurt gearbeitet, hier sieben Inszenierungen gemacht. Ich kenne das Haus sehr gut.

Am 17. September wird mit „Elektra“ eröffnet. Wie voll wird das Haus sein?
Wir können nur fünfzig Prozent unserer Sitzplätze verkaufen, was immer noch nicht gut ist. Wie die Endrechnung aussieht, müssen wir dann schauen, da bauen wir auf den Dialog mit der Politik. Viel wird auch davon abhängen, ob uns die Abonnenten treu bleiben.

Hat man sich da etwas überlegt?
Ja, die Abos werden um 25 Prozent günstiger und es wird zehn bis zwölf Sonderprogramme extra für die Abonnenten geben, unter anderem mit der Opernsängerin Christiane Libor, mit Kammersänger Kurt Rydl oder mit Peter Weck. Moderiert werden diese Abende von Christoph Wagner-Trenkwitz, den wir enger ans Haus binden wollen. Wir wollen den Abonnenten zeigen: Ihr seid uns wichtig. Wir sind in einer schwierigen Zeit, aber zusammen können wir sie meistern.

Apropos Christoph Wagner-Trenkwitz: Er hat früher sehr erfolgreich die Matineen moderiert, bevor Florian Scholz das selber übernommen hat. Wie werden Sie das handhaben?
Die Matineen werde ich selber moderieren, das mache ich mit dem jeweiligen Dramaturgen zusammen. Es geht ja um das Stück und um die Inszenierung, und die kennen wir natürlich besser.  Christoph Wagner-Trenwitz wird aber mindestens in einer Produktion im Jahr am Haus mitspielen und neben dem Hund Toto das Maskottchen am Haus werden, wie er selber gesagt hat (lacht). Demnächst wird er sogar bei Vroni im Theatercafé auftreten.

Und wie wollen Sie junge Menschen ins Theater bekommen? Die Staatsoper etwa öffnet nun alle Generalproben für junge Menschen.
Wir werden neue Theaterpädagogen anstellen, die sich um die Jugend kümmern. Wir werden auch an anderen Spielstätten spielen – zum Beispiel mit dem Circus Dimitri zusammenarbeiten. Wir werden auch auf die Jugendlichen zukommen, auch was den Theaterclub angeht. Und warum gibt es am Stadttheater keinen Theaterverein? Wir müssen insgesamt mehr auf die Leute zugehen. Wir wollen auch ein Jugendabo machen, aber das braucht alles seine Zeit.

Welche weiteren Maßnahmen in Sachen Corona sind geplant?
Es gibt bei den Sitzplätzen ein Schachbrettmuster, aber bis zu zwei Besucher dürfen nebeneinander sitzen. Wir spielen ohne Pause und es gibt auch vor und nach den Vorstellungen keine Gastronomie. Dazu kommen Sicherheitsabstände, Mund-Nasen-Schutz bis zum Sitzplatz und alle Karten sind personalisiert – man muss sich also ausweisen können. Und dann hoffen wir, dass wir so gut durch die Saison kommen.

Sie müssen ja auch schon die nächste Saison planen. Wie geht man an diese Herausforderung heran?
Wir hoffen natürlich, dass es im kommenden Herbst normal losgehen kann. Aber die Situation ist ernst, und umso mehr braucht man Kunst. Man merkt ja, wie sehr die Coronakrise den Menschen Angst macht – man muss nur an die viele Demonstrationen denken. Gerade wurde versucht, den deutschen Reichstag zu stürmen, was widerwärtig ist. Gerade in diesen Zeiten hat Kunst, was unsere Werte angeht, eine sehr wichtige Funktion. Wer sind wir? Wie gehen wir miteinander um? Welche Funktion hat Demokratie? Das sind Fragen, die auch mit Mitteln der Kunst beantwortet werden können.

Wie findet man da bei der Programmierung die Balance zwischen der Unterhaltung, mit der die Besucher nach einem anstrengenden Arbeitstag den Kopf frei kriegen wollen und den politischen Aufgaben der Kunst?
Ganz einfach: Komödien können die schärfsten Waffen sein – à la Nestroy oder „Der große Diktator“. Das war die schärfste Kritik an Hitler, denn sie entlarvt seine Denkweise. Aber auch „Faust“ oder „Elektra“ sind Unterhaltung im besten und eigentlichen Sinne, indem wir uns durch die Stücke auch mit uns selbst auseinandersetzen.

Im Stadttheater hat das Musiktheater immer ein bisschen einen höheren Stellenwert als das Sprechtheater, weil man am Haus auch ein Orchester und einen Chor hat, der beschäftigt werden muss. Wie wollen Sie da eine Balance herstellen?
Ich kämpfe für eine Studiobühne und für andere Spielorte. Wir müssen aus diesem Elfenbeinturm Stadttheater raus, viel mehr in die Gesellschaft hinein und zeigen: Kärnten, wir sind hier. Ihr zahlt die Steuern für uns und wir spielen für euch alle. Das Orchester soll wieder mehr auch an anderen Orten spielen, auch der Chor wird Konzerte quer durch Kärnten geben. Ich will auch mit der Freien Szene zusammenarbeiten, vielleicht schaffen wir ein gemeinsames Projekt – und eigentlich müsste das die Studiobühne sein, die ja schon meine Vorgänger gerne realisiert hätten. Aber ich kann als Intendant in der heutigen Zeit nicht begründen, warum das Stadttheater noch eine Bühne kriegt und die Freie Szene kriegt nichts. Das können wir nur zusammen erreichen und dann auch gemeinsam bespielen. Vor Corona gab es auch positive Signale von der Politik in diese Richtung, aber jetzt ist natürlich alles schwierig.

Sie haben bis gestern als freier Regisseur gearbeitet, hatten einige Engagements an diversen Theatern. Was ist daraus geworden?
Mir wurde von März bis nächsten Jänner alles abgesagt, das waren drei Stücke. Dreiviertel meines Jahresgehalts sind mir so einfach gestrichen worden und es gibt ja kein Arbeitslosengeld für freischaffende Künstler. Ich bin ab heute angestellt, aber was ist mit den Künstlern, die kein Sicherheitsnetz haben? Das ist wirklich schwierig.

Apropos freie Regisseure: Es hat in Kärnten eine Diskussion darüber gegeben, dass zu wenige Regisseurinnen beschäftigt werden. Was sagen Sie dazu?
Ja, das stimmt ja auch, es gibt zu wenig Regisseurinnen. Das wird sich ändern, dauert aber. Ich habe zum Beispiel eine Chefdirigentin gesucht und hatte auch jemanden im Auge, aber die ist durch ihren letzten Intendanten so klein gemacht worden, dass sie sich das nicht antun will. Außerdem gibt es einfach weniger Regisseurinnen. Ich habe viele angefragt für die nächste Spielzeit, aber die meisten   waren schon ausgebucht. Ich nehme das sehr sehr ernst und vielleicht werden wir mit den Jahren 50 : 50 schaffen.

Sie selbst gelten als sehr amikal gegenüber der Belegschaft.
Ich habe es auch der Belegschaft zu verdanken, dass ich hier sitze. Die sind sehr für mich eingetreten. Es kann schon einmal zu Konflikten kommen wie in jeder großen Familie, und so verstehe ich das Ensemble des Stadttheaters.

Werden Sie das Theater auch mehr in Richtung Alpen-Adria-Raum öffnen?
Ja, auf jeden Fall. Das sind schon Projekte geplant. Wir werden viele slowenische Autoren einladen und ich arbeite mit einem slowenischen Komponisten zusammen. Da ist auch eine Uraufführung angedacht …

… das Stadttheater hat sich ja einen Ruf mittlerweile mit den Uraufführungen gemacht. Werden Sie das beibehalten?
Ja. Aber Ich finde es ja auch interessant, dass man gute Zweitaufführungen nachspielt. Es gibt so viele Uraufführungen – und dann kommt nichts mehr. Ich glaube, es ist auch wichtig, dass man Qualität erhält und das Repertoire erweitert. Ich finde es aber auch wichtig, dass es Lesungen gibt. Ich will auch mehr die Leute im Haus fördern, weil es hier so viele Talente gibt. Auch im Orchester gibt es so viele hervorragende Musiker, ich hoffe, dass wir auch mehr Kammermusik-Konzerte machen können.

Das Ensemble Minui, das vorwiegend aus Musikern des Kärntner Sinfonieorchesters besteht, ist in vier Kategorien für den deutschen „Opus Klassik“ nominiert.
Ja, die waren auch im Rundfunk Berlin Brandenburg „CD der Woche“. Und da war ich zwar noch Berliner, aber auch ganz stolz auf Klagenfurt und das Theater. Ich glaube, die Klagenfurter wissen zum Teil gar nicht, welche Schätze hier verborgen sind.