Moritz Franz Beichl inszeniert Ibsens Die Frau vom Meere am Stadttheater. Ein Gespräch über seine Neufassung, das Zerschmettern von Klassikern und Feminismus als Reizwort.
(Marianne Fischer / Kleine Zeitung)
Am Donnerstag feiert Ihre Neufassung von Henrik Ibsens Die Frau vom Meere Premiere. Warum diese Neufassung?
Moritz Beichl: Ich beschäftige mich als Regisseur viel mit klassischen Dramatikern, mit Shakespeare, Schiller, Nestroy, Büchner, Molière. Ich mag klassische Literatur generell, weil wir die Stücke nehmen und anschauen können: Was hat sich verändert, was nicht? Mit dem Umweg über die Vergangenheit können wir viel über uns lernen, etwa über das Frauenbild.
Was kann man bei Ibsen über das Frauenbild lernen?
Ibsen hat diese großen Frauenfiguren geschaffen: Hedda, die sich umbringt; Nora, die am Ende geht und eben auch Ellida, die bleibt. Als alter Queerfeminist interessiere ich mich sehr dafür, wie Ibsen schon Ende des 19. Jahrhunderts moderne Frauen beschrieben hat. Ellida hat einen großen Drang nach Freiheit, eine Sehnsucht, das bürgerliche Leben hinter sich zu lassen. Und man würde ja vermuten, dass in einem Stück Ende des 19. Jahrhunderts ein Ehemann patriarchal reagiert, aber er versucht, seine Frau zu verstehen, auch das ist sehr modern. Es gelingt ihm nur nicht. Heute würde es ihm vielleicht gelingen.
Sie haben den Text bearbeitet. Haben Sie ihn ins Heute geholt?
Ich habe Ibsen behutsam bearbeitet und in die Echtzeit geholfen, in den Figuren, aber auch in der Sprache und mit Situationen, die mehr mit uns zu tun haben. Ich habe auch ein neues Ende geschrieben. Rund dreißig Prozent sind jetzt von mir. Aber es ist kein Zerschmettern, sondern eine Würdigung an Ibsens Text.
Ist es manchmal nötig, Klassiker zu zerschmettern?
Normalerweise nicht, diese Texte haben uns noch viel zu erzählen. Aber ich mache im Anschluss an Klagenfurt Faust in Wien, und den werde ich tatsächlich total zerschmettern. Faust ist ein alter Macho und Gretchen eine hochproblematische Figur, ich werde ihr endlich eine echte Geschichte geben. Das alles war bei Ibsen nicht notwendig.
Weil er noch immer aktuell ist?
Ich finde das Wort »aktuell« nicht richtig, wichtig ist, ob Texte relevant sind. Und Ibsens Text ist relevant, und zwar für Männer und Frauen, für Junge und Alte, einfach für alle. Wir können uns überall in dem Text finden, denn es geht darum: Wie wollen wir Menschen sein? Was sind unsere Lebensvorstellungen? Wo führt uns die Zukunft hin, welche Vergangenheit arbeitet in uns?
Das alles klingt ernst und tragisch. Sie sind bekannt für Humor in Ihren Inszenierungen.
Und auch Ibsen fängt bei uns sehr lustig an. Wir haben gerade im ersten Akt viel Humor herausgekitzelt und es gibt weiterhin Humor, auch wenn es immer tragischer und ernster wird. Es ist im Theater wie im Leben: Komödie und Tragödie liegen eng beieinander.
Sie schreiben auch queere Literatur. Wie reagieren Publikum und Öffentlichkeit auf Ihre queeren und feministischen Perspektiven in Literatur und Theater?
Die Reaktionen sind eigentlich durchwegs positiv. Allerdings habe ich vor zwei Jahren in einem Interview, das ich vor der Premiere von Shakespeares Sturm in Klagenfurt gegeben habe gesagt, dass Shakespeare ein queerer Autor ist und einer der wenigen großen Klassiker, die starke Frauenfiguren geschrieben haben. Da gab es dann im Internet Hasskommentare. Queer und Feminismus, das sind Reizworte. Ich verstehe das nicht. Es geht ja nur darum, dass wir Menschen die gleichen Chancen haben im Leben.
Queere und feministische Bewegungen haben es wieder zunehmend schwer. Macht Ihnen das Angst?
Die Widersprüchlichkeit, in der wir uns befinden, ist beängstigend. Es gibt so viele Bewegungen, die radikal auseinanderdriften. Es gibt laute Stimmen wie die Tradwives, die sich nach einem traditionellen Frauenbild sehnen, da geht ja der ganze Feminismus der letzten Jahrzehnte flöten. Aber es gibt auch eine starke Gegenbewegung. Wir Menschen tendieren zum Schwarz-Weiß-Denken. Um zu Ibsen zurückzukehren: Da haben die Figuren viele Graustufen, das sind Menschen mit Fehlern und Stärken und ich glaube, dass wir sehr aufpassen müssen, dass wir uns die Graustufen erlauben und weiterhin im Dialog bleiben.
Was kann Theater dazu beitragen?
Ich glaube nicht, dass das Theater einen Bildungsauftrag hat, ich will auch keine Lösungsvorschläge anbieten, dafür ist die Politik da oder Institutionen wie Universitäten. Ich glaube, dass Theater etwa verändern kann, weil es jenseits von einem Vermarktungs- und Wertschöpfungsprozess und jenseits von Digitalität und Instagram Begegnungsräume aufmacht, wo wir uns spielerisch Themen widmen können und uns erlauben dürfen, Fragen zu stellen, ohne Antworten zu haben.