Der weltbereiste peruanische Tenor sagt, er liebe die Recital-Bühne über alles: »Man geht mehr Risiken ein, man kann direkt kommunizieren.«
von Jason Blake, Limelight am 7. November 2025
(Fotos: Gregor Hohenberg)
Juan Diego Flórez ist in Mailand, als Limelight ihn erreicht. Er steht kurz vor dem Ende einer kurzen Spielzeit von Donizettis La Fille du régiment an der Scala, dem Opernhaus, in dem er vor fast 30 Jahren mit der Nebenrolle des Le Chevalier Danois in Glucks Armide seinen Durchbruch feierte.
»Ich bin sehr gerne hier, und La Fille ist eine sehr lustige Oper; die Inszenierung ist wunderbar«, sagt Flórez. »Aber morgen ist die letzte Vorstellung – und darüber bin ich froh!«
Flórez, der die Rolle des Tonio in der Wiederaufnahme einer Laurent-Pelly-Inszenierung an der Scala singt, sagt, dass er zwar noch gelegentlich Opernrollen übernimmt, sein Herz aber eigentlich dem Recital gehört. Hier, nur begleitet von einem Klavier oder einer Gitarre, fühlt er sich am wohlsten und teilt seine Liebe zum Belcanto-Tenorrepertoire mit einem weltweiten Publikum.
»Es ist wunderbar, vor einem Publikum zu stehen und etwas zu schaffen«, sagt er. »Man kann mehr Risiken eingehen, man kann direkt kommunizieren. Es ist wie Kammermusik.«
Nach seinem Aufenthalt in Mailand singt Flórez ein Konzert in Klagenfurt, Österreich (Anm. 21.11.2025, Stadttheater Klagenfurt, AUSVERKAUFT), und fliegt dann nach Australien, wo er eine Konzerttournee durch drei Städte unternimmt – Melbourne, Sydney und zum ersten Mal Adelaide. Seine Konzerte zeichnen eine Opern-Zeitleiste nach – vom italienischen Lyrismus Bellinis und Donizettis bis hin zum spanischen und französischen Repertoire (…). »Diese Zeit in Paris war der Beginn der französischen Welle der Grand Opéra«, sagt er. »Man spürt, wie sich der italienische Einfluss mit etwas Neuem vermischt.«
Zu seinem Repertoire gehören einige selten zu hörende Perlen aus dem Opernkanon, zum Beispiel aus Massenets Le Cid und aus François-Adrien Boieldieus La Dame Blanche. »Viens, gentille dame [aus La Dame Blanche] ist eine echte Rarität«, sagt er. »Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ich das jemals zuvor auf der Bühne gesungen habe.«
Und ja, die Fans können sich auf sein Markenzeichen, das Gitarrenset, freuen – den Moment in jedem Konzert, in dem er das Belcanto-Feuerwerk gegen peruanische, spanische und lateinamerikanische Lieder eintauscht.
»Die Leute lieben es«, sagt er. »Ich bringe einen Teil meines Erbes mit ins Konzert, und das Publikum ist immer begeistert.«
Trotz seines weltumspannenden Terminkalenders betont Flórez, dass er sein Tempo gedrosselt habe. »Ich reise jetzt nicht mehr so viel für die Oper«, sagt er. »Ich singe hauptsächlich in Mailand, Österreich und London, also in der Nähe meines Wohnortes. Ich möchte mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen, Tennis spielen und Sport treiben.«
Aber »gedrosselt« ist relativ. Nächstes Jahr besucht er Amerika, Spanien und China. Er beobachtet aufmerksam die Veränderungen in der klassischen Musikszene, insbesondere in Asien. »In China ist das Publikum sehr jung, Menschen in ihren 20ern und 30ern, sehr sachkundig und sehr fröhlich.«
Auf die Frage nach dem Aufstieg von KI-generierten Gesangsstimmen – einer Technologie, die mittlerweile unheimlich überzeugende Imitationen von Opernarien produzieren kann – antwortet er philosophisch. »Manchmal bin ich ein wenig besorgt, meistens aber nicht so sehr«, gibt er zu. »Die Oper ist immer noch eine der wenigen Kunstformen, die völlig natürlich ist. Natürlich werden heutzutage in Produktionen immer mehr Videos und Projektionen eingesetzt, aber die Musik wird immer noch analog, ohne Verstärkung, gemacht. Man versetzt die Luft mit seiner Stimme in Schwingung. Das macht sie so besonders.«
»Im Sprechtheater werden heute so oft Mikrofone verwendet. Es ist, als würden die Menschen nicht mehr projizieren. Das ist gerade in Mode. Aber in der Oper niemals! Der Grund, warum wir über ein 70-köpfiges Orchester hinweg zu hören sind, ist, dass wir mit einer speziellen Technik singen – wir verstärken bestimmte Frequenzen, die das Orchester nicht besetzt. Das ist etwas Natürliches, das uns das ermöglicht.«
Wenn überhaupt, so sagt er, könnte das digitale Zeitalter das Publikum zurück zu Live-Aufführungen treiben. »Vielleicht wird die Oper dadurch populärer, weil die Menschen das echte Erlebnis suchen – eine menschliche Stimme ohne Verstärkung hören, diese Bewegung in der Luft spüren wollen. Das ist es, was Emotionen weckt.«