Schirin Khodadadian inszeniert die Österreichische Erstaufführung von Noah Haidles Birthday Candles am Stadttheater Klagenfurt: Die Protagonistin Ernestine backt als Tochter, Ehefrau, Mutter, Großmutter, Urgroßmutter jedes Jahr einen Geburtstagskuchen nach dem immer gleichen Rezept. Und ihre einstigen Erwartungen an das Leben kehren in den Lebensfragen der Kinder und Kindeskinder wieder. Im Interview spricht die Regisseurin über Traditionen, die Sinnfrage im Leben und was 103 Goldfische damit zu tun haben…
Sechs Schauspieler*innen verkörpern 12 Rollen über fünf Generationen hinweg – wie vollziehen sich diese Verwandlungen, die Wechsel der Spielalter in Ihrer Inszenierung?
Haidle beschert den Spieler*innen und seinen Figuren rasanteste Wechsel. Zeitsprünge von ca. 50 Jahren und das auch noch von einer Szene auf die andere, von der Mutter zur Tochter, vom Ex-Mann zum Urenkel, lassen sich nicht immer unmittelbar erklären. Geschweige denn erzählen. Neben Maske und Kostüm haben wir uns auf die Macht des Als-Ob verlassen. So wird auch das Leben unserer Hauptfigur zur Bühne und unser Ensemble erspielt sich Alter und Generationssprünge buchstäblich.
Ein Kuchenrezept verbindet die Familie im Stück. Der Kuchen wird jedes Jahr gebacken, das Rezept weitergegeben. Warum sind Rituale und Traditionen für uns so wichtig?
Nicht nur dass Theater aus dem Rituellen heraus erst entstanden ist, jeder Schritt auf die Bühne ist auch heute noch geprägt vom Sich-über-die Schulter-Spucken, nicht-Pfeifen oder Private-Hüte-tragen-dürfen und vielem mehr, was einen glücklichen Theaterabend heraufbeschwören soll. Wir sind im Alltag doch trotz einer globalen Vernetzung angewiesen auf das Wiedererkennbare. Nicht nur um Neues erst erfahrbar zu machen, sondern auch, um innerhalb dieses gesetzten Rahmens frei agieren zu können. Im Ritual wird das Systemische im Zweifelsfall zu einem Garanten von individueller Freiheit. Deshalb werden Rituale und Traditionen sich immer ihren Platz suchen.
Noah Haidle entwirft eine Version vom Sinn des Lebens – welche Antwort haben Sie hier als Regisseurin gefunden?
Der einzige Sinn scheint zu sein, dass sich die Sinnfrage zum Glück nicht abschließend klären lässt. Das Leben will immer gelebt werden. Und so ist es das gemeinsame Erleben im Augenblick, was sinnstiftend wird oder werden könnte. Ins Handeln kommen ergibt immer Sinn.
103 Goldfische begleiten Ernestine im Laufe ihres Lebens – wofür stehen sie im Stück?
Der Goldfisch hat eine Gedächtnisspanne von ca. 3 Sekunden. Und dann beginnt für ihn die Welt von vorn. Chance und Fluch zugleich. Was wären wir ohne die Geschichten, die uns andere hinterlassen, über uns erzählen? Aber auch das ist nur eine Variante des Kosmos, den Haidle für all seine Figuren öffnet, für seine große Erzählung über das Leben, und eben auch für den einzigen 103. Goldfisch!