10. November 2023

»Es scheint, als könnte die Musik jeden Moment explodieren«

Stefan Neubert ist Erster Kapellmeister am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken, wo er u. a. Tristan und Isolde und Der Rosenkavalier dirigierte. Mit Manon Lescaut stellt er sich nun dem Klagenfurter Publikum vor. Der Dirigent im Interview über große Emotionen bei Giacomo Puccini, musikalische Prägungen und seine Zeit in Klagenfurt.

Stefan Neubert

Sie haben schon eine Vielzahl an Opern und Konzerten musikalisch geleitet – war es für Sie schon immer klar, dass Sie dirigieren wollen?
Der Wunsch Dirigent zu werden, war nicht von Anfang an da. Das hat sich eher ergeben. Ich wusste aber schon relativ früh, dass ich Musik zu meinem Beruf machen möchte. Durch das Klavierspielen und die Arbeit mit Sänger*innen und Chören, durch das Spielen im Orchester, kam ich mit dem Dirigieren in Kontakt. Nach meinem Klavier- und Korrepetitionsstudium habe ich parallel zu meiner Arbeit am Theater ein Dirigierstudium absolviert.

Gibt es Bühnen- oder Konzerterlebnisse in Ihrer Laufbahn, die Sie besonders bewegt haben?
Es gibt immer wieder Momente, die unglaubilch berührend sind. In der Aufführung strebt man immer nach dieser Spannung und Emotion, die Musik erzeugen kann. Das beflügelt natürlich das Weitermachen und die Suche nach solchen Momenten, wo Orchester, Bühne, Sänger*innen, Chor und Publikum magisch zusammenwirken.

Ihr stilistisches Spektrum reicht von Barock bis zu zeitgenössischer Musik. Wenn Sie sich entscheiden müssten: Sciarrino oder Mozart?
Am liebsten Sciarrino und Mozart! Das ist das tolle an unserem Beruf, dass wir so unendlich viele Möglichkeiten haben, Musik aufzuführen. Der Reiz liegt für mich darin, dass man zwischen den Musikstilen wechseln kann. Auch die Tatsache, dass sich Musik immer weiterentwickelt, ist für mich sehr spannend.

Welches Werk steht noch auf Ihrer Wunschliste als Dirigent?
In der Oper würde ich mich zum Beispiel Lady Macbeth von Mzensk von Schostakowitsch sehr interessieren, das wäre wirklich etwas Besonderes. Die Geschichte und die Musik sind einfach unglaublich. Für die Orchestermusik ist Beethoven natürlich eine zentrale Figur. Es ist ein großer Wunsch von mir, einmal die 9. Sinfonie zu dirigieren. Dieses Meisterwerk ist so tiefgründig und geht in seiner Wirkung weit über Musik hinaus. Aber grundsätzlich ist meine Wunschliste lang.

Sie sind derzeit gemeinsam mit Regisseur Igor Pison, dem Ensemble und dem Kärntner Sinfonieorchester in den Endproben zu Manon Lescaut. Was macht diese Puccini-Oper so besonders?
Diese Musik zeichnet sich durch große Emotionalität aus. Natürlich ist Musik bzw. Oper immer sehr emotional, doch das Herzzerreißende in diesem Stück ist einzigartig. Puccini schreibt Melodien, die von vielen Musikern unisono gespielt werden. Es klingt dann, als würden alle aus einem Munde oder einem Herzen singen. Das ist immer sehr bewegend und es scheint, als könnte die Musik jeden Moment explodieren. Man spürt eine unglaubliche Spannung. Im Kontrast dazu gibt es auch sehr unterhaltsame Elemente, virtuose Musik und misteriöse Passagen, die diese herzzerreißende Liebe zwischen den Protagonisten noch stärker wirken lassen. Vor allem das Duett im zweiten Akt ist ein intensives Gefühlsbad mit Höhen und Tiefen.

Wie verbringen Sie Ihre Zeit, wenn Sie nicht am Dirigentenpult stehen?
Ich habe einen dreijährigen Sohn, mit dem ich sehr viel Zeit verbringe. Das ist neben meiner Arbeit als Dirigent meine sehr schöne und wunderbare Hauptaufgabe.

Welche Musik hat Sie in Ihrer Jugend geprägt und immer wieder begleitet?
Ich bin mit verschiedenen Musikstilen aufgewachsen und habe alles in mich aufgesogen. Ich habe im Stadtsingechor zu Halle Barockmusik und romantische Chorsinfonik gesungen, später in meinen Bands von Jazz über Blues bis hin zu Rock ’n‘ Roll verschiedenes gespielt. Durch meinen Vater, der an der Oper gearbeitet hat, konnte ich auch schon früh Musiktheater kennenlernen.

Sie sind zum ersten Mal hier in Klagenfurt. Was gefällt Ihnen an diesem Ort am besten?
Einfach nur durch diese schöne Stadt zu spazieren, ist schon eine Freude. Tatsächlich reizt mich die Nähe zum See und auch zum Wald am meisten. Es ist auch wunderschön, rundherum die schneebedeckten Berge zu sehen.

Wohin führen Sie Ihre nächsten Projekte?
Nach Manon Lescaut führt es mich wieder nach Saarbrücken, wo ich Il Trittico von Puccini und anschließend das Neujahrskonzert dirigieren werde.