Ist Stallerhof ein Skandalstück?
Nein. Obwohl Franz Xaver Kroetz in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts als Enfant terrible des deutschen Theaters galt, verursachte die Uraufführung des Stallerhofs am 24. Juni 1972 in Hamburg keinen Skandal, sondern wurde von Publikum und Presse als besonders eindrückliche Sozialkritik wahrgenommen. Ebenso verhielt es 1988 sich bei der Uraufführung von Gerd Kührs auf Kroetz’ Stück beruhender Oper in München.
In Österreich kam es im Zusammenhang mit Kroetz’ Stallerhof aber trotzdem zu einem Skandal: In Absam (Tirol) las die Lehrerin Agnes Larcher 1973 mit ihren Hauptschüler*innen der vierten Klasse den Stallerhof und wurde daraufhin von der Schulbehörde suspendiert. Dies löste eine breite öffentliche Kontroverse aus. Larcher klagte die Schulbehörde vor dem Arbeitsgericht, ließ sich jedoch schließlich in einen außergerichtlichen Vergleich ein und kehrte in den Schuldienst zurück.
Welche Themen werden in Stallerhof verhandelt?
Kroetz zeigt schonungslos die Gewalt und den sexuellen Missbrauch, die an einem 14-jährigen Mädchen verübt werden; auch die Musik Kührs lässt in jenen Szenen, in denen Beppi misshandelt wird, keinen Zweifel an der Stärke des Schmerzes, den sie erdulden muss. Kroetz und Kühr geht es jedoch nicht um die Darstellung von Gewalt um der Gewalt willen. Vielmehr zeigen sie eine Gruppe von gesellschaftlichen Außenseiter*innen, die aufgrund ihrer Lebensumstände und -erfahrungen nicht befähigt sind, miteinander zu reden, Konflikte auszutragen oder ihre tiefsten Bedürfnisse zu artikulieren. Die Sprachlosigkeit der Figuren führt zu verzweifelten, dysfunktionalen und auch gewalttätigen Handlungen. Somit ist das eigentliche Thema des Stückes die Tragik von in Sprachlosigkeit und Unfähigkeit gefangenen Personen, die sich wie alle Menschen nach Liebe und einem erfüllten Leben sehnen.
Gibt es in dieser Inszenierung Darstellungen besonderer Gewalt?
In der Oper Stallerhof werden mehrere Vergewaltigungen gezeigt; gegen Ende des Stückes versucht die Mutter der schwangeren Beppi, in der eigenen Küche das Kind abzutreiben. Diese Szenen gehen über das hinaus, was wir »normalerweise« auf unserer Bühne zeigen. Die Regisseurin hat diese Szenen mit den Darstellenden so erarbeitet, dass diese dabei nicht über ihre körperlichen und psychischen Grenzen gehen mussten und der Charakter einer künstlerischen Darstellung erhalten bleibt. Für Menschen im Publikum, die selbst Opfer derartiger Gewalt waren oder sind, können diese Szenen jedoch schwer zu ertragen sein oder retraumatisierend wirken.
Ich bin oder war selbst Opfer von (sexueller) Gewalt oder habe Sorge, dass ein mir bekanntes Kind oder Jugendlicher Gewalt erfährt. An wen kann ich mich um Rat und Hilfe wenden?
Wenn Sie Gewalt an Kindern und Jugendlichen beobachten oder vermuten, helfen Sie!
In Kärnten gibt es zahlreiche Stellen, an denen Rat und Hilfe angeboten wird. Die Kinderschutzstelle des Landes Kärnten stellt umfangreiche Materialien und Adressen zur Verfügung, die man konsultieren und an die man sich wenden kann: www.kinderschutz.ktn.gv.at.
Wenn Sie selbst von Gewalt betroffen sind, suchen Sie sich Hilfe!
Stellen, an denen Sie sich beraten lassen können, sind unter anderem das Gewaltschutzzentrum Kärnten (www.gewaltschutzzentrum.at/kaernten/) oder das Psychosoziale Therapiezentrum (www.ptz-kaernten.at) mit Standorten in Klagenfurt und Villach.
Muss man so etwas aufführen?
Ja! Das Stadttheater Klagenfurt ist verpflichtet, auch moderne Musiktheaterwerke auf die Bühne zu bringen und so die Weiterentwicklung der Kunst zu fördern. Dem Schauspieltext von Franz Xaver Kroetz wohnt eine unglaubliche Kraft inne, die Gerd Kühr kongenial in eine brillante Partitur übersetzt hat. Stallerhof gehört somit zu den bedeutendsten Opernkompositionen des ausgehenden 20. Jahrhunderts.
Überdies ist es die Aufgabe des Theaters, auch die Abgründe des Menschlichen zu ergründen und die Ungerechtigkeiten aufzuzeigen, die in unserer Gesellschaft walten. Gewalt und sexueller Missbrauch sind für hunderttausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Österreich eine alltägliche Erfahrung. Geschichten wie die des Stallerhofs gehören in jedem Dorf zum kollektiven Gedächtnis. Wir betrachten es als unsere Pflicht, im Rahmen unserer künstlerischen Möglichkeiten, den Opfern solcher Taten eine Stimme zu geben und gemeinsam mit dem Publikum die Frage zu diskutieren, was das einzelne Individuum und die Gesellschaft als Ganze tun können, um zu einer Linderung dieses Leids beizutragen.