Regisseur Miloš Lolić, Choreografin Jasmin Avissar und Kostümbildnerin Jelena Miletić über ihre Arbeit an Arthur Schnitzlers Reigen am Stadttheater Klagenfurt.
Was hat dich an Schnitzlers Reigen am meisten fasziniert?
Miloš Lolić: Einer der Gründe, warum ich mich in diesen Text verliebt habe, war seine besondere Form: Jede Figur ist mit der anderen verbunden. Es entsteht ein Reigen, der buchstäblich die ganze Gesellschaft mit ihren verschiedenen sozialen Schichten abbildet. Der Text wirkt auch noch in unserer Zeit, obwohl er vor über 100 Jahren geschrieben wurde. Auch wenn wir nicht mehr unter den gleichen gesellschaftlichen Umständen leben, berührt es noch immer dieselben Themen, die auch für uns heute relevant sind: Das sind nicht nur die sexuellen Beziehungen, die damals auf der Bühne skandalös waren, sondern eher Themen wie Dominanz, Kraft und Kontrolle.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen der romantischen Liebe im 18. Jahrhundert und der Liebe in der Moderne, wie bereits zu Schnitzlers Zeit, die sehr auf Genuss und Konsum ausgerichtet ist. Plattformen wie Tinder u.a. stehen hier für das Austauschbare …
Miloš Lolić: Der »Fast-Food«-Ansatz und der konsumorientierte Zugang zum Thema Sex war zu Schnitzlers Zeit technologisch noch nicht so ausgereift wie heute. Ich habe aber das Gefühl, dass die Menschen damals, eben weil das Thema so ein Tabu war, noch seltsamere, ja faszinierendere Möglichkeiten entwickelt haben, um sich zu finden. Ich denke unsere heutige Zeit ist viel banaler. Am Ende geht es beim Sex nur um Sex. Obwohl es gibt auch den berühmten Satz: Everything is about Sex, except Sex. (Alles dreht sich um Sex, außer Sex.).
Die Frage »Liebst du mich?« taucht im Reigen immer wieder auf. Welche Sehnsüchte haben Schnitzlers Figuren?
Miloš Lolić: Schnitzlers Text »kreist« im wahrsten Sinn des Wortes um das Thema sexuelle Beziehungen. Im selben Moment nimmt er den Sex aber komplett aus dem Stück. In diesen Szenen, nennen wir sie Verhandlungen, ist der Sex ausgeblendet und im Text durch Striche ersetzt. Dennoch wird der Wunsch der Figuren nach Akzeptanz und Wertschätzung sofort für das Publikum spürbar. Die Menschen wollten immer schon geliebt werden, in der heutigen Zeit verliert das Wort »Liebe« aber seine Bedeutung. Wir verwenden es nicht mehr so häufig. Aber ganz gleich wie konsumorientiert unsere Suche nach sexueller Interaktion ist, tief in unserem Inneren suchen wir immer noch nach Liebe und vor allem nach Akzeptanz.
Wie hast du dich als Regisseur dem Reigen angenähert? Welches Konzept hast du entwickelt?
Miloš Lolić: Es war uns schon von Beginn an klar, dass wir es dem Publikum nicht ermöglichen wollen, sich im Dunkeln zu verstecken oder als Voyeur zu agieren. Ich war mir sicher, dass die Schauspieler*innen in meiner Inszenierung offener zum Publikum stehen und das Publikum auch involvieren werden. Meine Kolleg*innen im Team konnten durch Bühne, Kostüm, Musik und Choreografie zusätzliche Erzählebenen einbauen. Es kam zu einer besonderen Thematisierung des Körpers auf der Bühne.
Nevena Glusica hat speziell für diese Inszenierung Bühnenmusik komponiert. Wie sind die Musikstücke entstanden?
Miloš Lolić: In vielen Reigen-Inszenierungen wird dieser Teil einfach verdunkelt oder übersprungen. Wir wollten diese weggelassenen Momente zum Leben erwecken und auf die Bühne bringen. Nevena Glusica hat die Darsteller*innen stark involviert. Jede/r Schauspieler*in hat Regieanweisungen oder Textstellen ausgewählt, die für Sie von großer Bedeutung sind. Aus diesen Texten entstand die Bühnenmusik zu jeder Szene. Manche sind sehr ohrwurmtauglich, andere stehen in komplettem Kontrast zur Situation und sind wilder als wir erwartet hatten. Wir wussten am Beginn noch nicht, wohin uns dieser künstlerische Prozess führt.
Wie konnte die Choreografie das Regiekonzept unterstützen?
Jasmin Avissar: Für Miloš Lolić ist Theater nicht nur Sprachkunst und Schauspielkunst sondern eine Kunstform, die den ganzen Körper miteinbezieht. Für mich war das eine schöne Gelegenheit meine Kreativität auszuleben und die Welt, die ich durch den Tanz mitbringe, einzubauen. Wir bedienen verschiedene Ebenen, um eine Geschichte zu erzählen. Die Körpersprache ist eine dieser Ebenen. Sie steht in Beziehung zur Sprach-Ebene, manchmal im Widerspruch zu ihr, manchmal im Dialog mit ihr und manchmal gibt sie derselben Situation eine neue Perspektive. Was passiert auf der Bühne mit der/dem Schauspieler*in bzw. mit der Figur selbst? Was passiert auf der Bühne mit der ganzen Gruppe, die auf die Bühne die Gesellschaft abbildet? Wie treten diese beiden Ebenen in einen Dialog? Die Idee war eine Körpersprache zu entwickeln, die auch eine andere Interpretation ermöglicht. Die uns erlaubt, am Text zu blieben, aber auf der anderen Seite auch zu kommentieren, die innere Welt der Figuren darzustellen.
Die Körpersprache ist also sehr eng mit der Sprache im Stück verbunden?
Jasmin Avissar: Ja, aber die Körpersprache illustriert nicht den Text. Sie beantwortet ihn. Wir sind natürlich inspiriert vom Text, inspiriert von den psychologischen Ebenen der Figuren und inspiriert von der Botschaft an die Gesellschaft. Es war für uns auch interessant, die Botschaften des Stückes vor 100 Jahren den heutigen »Messages« gegenüberzustellen. Das kommt zum Beispiel in der Szene von Stubenmädchen und junger Herr gut zum Ausdruck. In der heutigen Welt wäre das eine typische Situation von Machtmissbrauch am Arbeitsplatz. Der Blick der Gesellschaft auf diese Situation hat sich verändert. Für mich ist Theater ein Spiegel der Gesellschaft. Er zeigt wer wir sind und offenbart uns aber auch, was kommen wird. Alle diese Ebenen sind miteinander verbunden. Auch die Spannung zwischen Einsamkeit und Verbindung zu erforschen war für mich sehr spannend. So konnten wir eine Szene im Vordergrund kreieren, die die Suche nach Verbindung thematisiert, während im Hintergrund von Einsamkeit der Figuren erzählt wird. Diese beiden Parallelwelten ergänzen sich und reflektieren uns heutige Menschen.
Warum gibt es auf der Bühne nahezu keine Berührungen zwischen den Schauspieler*innen?
Jasmin Avissar: Vor diese Herausforderung hat uns das Leben gestellt – als wir das Stück zum ersten Mal konzipierten, kam uns Corona dazwischen. Die Schauspieler*innen mussten auf der Bühne einen Mindestabstand einhalten. Wir haben uns dann die Frage gestellt: »Was ist Berührung?« Was ist die innere Bedeutung einer Verbindung, wenn wir uns nicht körperlich berühren dürfen? Was bedeutet Sexualität und körperliche Berührung? Diese Gedanken und Fragestellungen von damals kamen in das aktuelle Konzept des Stückes und haben uns bestärkt, diesen Weg weiter zu gehen.
Wenn es zwischen den Figuren zum Sex kommt, »schildern« Songs diese Szenen. Wie warst du hier als Choreografin eingebunden?
Jasmin Avissar: Wir haben diesmal nicht die Songs choreografiert oder den Tanz und die Musik zusammen entwickelt. Die Musik spricht von einer anderen Verbindungsebene. Hier nimmt sich die Bewegung etwas zurück und spricht mehr über die Metaebene, die Menschen auf der Bühne. Für mich repräsentiert die Bühne eine kleine Welt für sich und die Menschen auf der Bühne sind eine Gesellschaft.
Wie entstanden die Kostüme für Reigen?
Jelena Miletić: Für uns als Team war klar, dass wir die Handlung versetzen müssen, dass die Kostüme nicht historisch bleiben. Wir wollten der Inszenierung eine Zeitlosigkeit geben mit dem Blick aufs Futuristische. Der Garten mit dem Labyrinth auf der Bühne hat auch eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der Kostüme gespielt. Sind die Figuren Teil dieses Gartens? Auch der Gedanke an Insekten, die sich in diesem Garten bewegen, war für mich spannend. Trotzdem sollte das Typische der Figuren erhalten bleiben. So trägt z.B. das Stubenmädchen die Silhouette einer Uniform. Die blaue Bluse, die im Text vorkommt, erscheint an diesem Kostüm auf andere Art und Weise.
Die Kostüme geben uns auch ein Gefühl von »Science-Fiction«.
Jelena Miletić: Absolut. Wir haben den Zeitgeist aufgenommen. Die Themen, die auf der Bühne verhandelt werden, haben mit der Vergangenheit zu tun, sind aber wohl auch noch in der Zeit die kommen wird, relevant. Gewisse Probleme werden sich nicht von alleine lösen und uns wohl auch in der Zukunft noch begleiten, wie zum Beispiel die Klassenunterschiede. Ich nehme derzeit ein Klima von zukünftigem Denken wahr. Das prägt auch uns als Künstler*innen. Das ist die Luft, die man mitnimmt und in das Stück integriert.
Wie spielen Kostüm und Choreografie zusammen?
Jelena Miletić: Jasmin sieht sich meine Silhouetten und Vorschläge an und auch ich denke bei meinen Entwürfen die Choreografie der Figuren mit. Wir inspirieren uns gegenseitig. Ein Kostüm in Bewegung hat natürlich nochmals eine stärkere Wirkung, die Silhouette eines Kostüms verändert sich dabei dermaßen. Bei den Figuren Schauspielerin oder Stubenmädchen kommt z.B. sehr gut zum Ausdruck, was man mit Kostüm und Choreografie erzählen kann.