Home MagazinAron Stiehl: »Ich liebe das Haus und die Menschen hier«
18. September 2023

Aron Stiehl: »Ich liebe das Haus und die Menschen hier«

Stadttheater-Intendant Aron Stiehl über die Götterdämmerung, mit der am 21. September die Saison eröffnet wird, Kartenpreise, Panzer und seinen Vertrag, der in zwei Jahren ausläuft. (Marianne Fischer/Kleine Zeitung)

Das Stadttheater startet mit der Götterdämmerung in die Saison – eine düstere Endzeitparabel, in der Walhalla in Flammen aufgeht. Wie aktuell ist der Stoff?
Aron Stiehl: Auch wir leben in einer Zeitenwende. Corona, Energiekrise, Klimawandel, Krieg in Europa: Die Menschen wissen nicht, wohin das führen wird und vor allem haben sie das Gefühl, dass man es selbst nicht mehr steuern kann. Und sofort sind die Verführer da. In der Götterdämmerung ist es Hagen, der die Menschen manipuliert und mit ihren Ängsten spielt. Wir haben Putin, Orbán oder Trump, denen es egal ist, was aus der Demokratie wird, und auch in Österreich haben wir solche Verführer. Diese unsägliche Diskussion darüber, was normal ist, dient ja nur dazu, wieder Minderheiten auszugrenzen. Und wer ist schon normal? Ich sicher nicht. (lacht)

Was kann das Theater da für eine Funktion übernehmen?
Unser diesjähriges Motto lautet: »Wir arbeiten für Sie an der Wiederverzauberung der Welt«. Das heißt nicht, dass wir in eine Traumwelt entführen wollen, die nichts mit der Realität zu tun hat. Ich bin der festen Ansicht, dass wir als Gesellschaft in der Realität wieder den Zauber und die Transzendenz erkennen müssen. Dass es mehr gibt als diese Profanität, die uns oft vorgelebt wird und die Dinge oberflächlich macht. Das Geheimnis und der Zauber gehören zum Menschsein unbedingt dazu. Und natürlich muss Theater auch immer eine gesellschafts- und bildungspolitische Funktion übernehmen.

Wie kann das ausschauen?
Ein konkretes Beispiel: Wir hatten in der vergangenen Saison im Sound of Music viele Schulklassen. In diesem Musical geht es darum, dass die Familie Trapp vor den Nazis flüchtet – für viele Schülerinnen und Schüler war das eine Chance, durch das Theater besser zu verstehen, was diese Zeit damals bedeutete. Wir hatten aber auch eine Klasse mit Schülern, die haben schon bei der slowenischen Begrüßung gerufen: »An diesem Theater wird Deutsch gesprochen« und applaudiert, als der Hitlergruß gezeigt wurde. Diese Schüler haben wir ausgeforscht, ich habe sie in mein Büro eingeladen und wir hatten ein gutes Gespräch. Und wir haben Pädagogen aus Mauthausen geholt, die mit der Klasse gearbeitet haben, damit die schweigende Mehrheit lernt: Man darf nicht einfach zuschauen. Das ist aufwendig, aber dieser Aufwand zahlt sich dann auch aus.

Apropos Aufwand: Die Götterdämmerung dauert fünf Stunden. Reagiert das Publikum da nicht verschreckt?
Nein, der Kartenvorverkauf läuft sehr gut, die Premiere ist fast ausverkauft. Überhaupt sind wir fast wieder auf dem Niveau der Vorcoronazeit. In der letzten Saison haben wir mit einer Auslastung von 78 Prozent abgeschlossen, davon können andere Theater nur träumen. Außerdem kommt das Publikum gerade für die Opern von Wagner auch von weiter her, unter anderem aus Wien. Sogar unser neuer »Freundeskreis des Stadttheaters« hat bereits Mitglieder aus Wien, die das hiesige Haus schätzen und unterstützen wollen.

Warum gründet man so einen Freundeskreis?
Um das Publikum noch enger an das Haus zu binden. Es wird nicht einfacher für Kunst und Kultur, unter anderem haben die Personalkosten sich rasant erhöht. Die Lohnabschlüsse etwa lagen nicht bei zwei Prozent, wie ursprünglich angenommen, sondern bei über sieben Prozent. Die Energie- und Materialkosten sind auch extrem gestiegen. Trotzdem haben wir die Kartenpreise nicht angehoben, denn die Menschen leiden eh schon genug unter den Teuerungen.

Was sagen Sie Menschen, die sich Karten nicht leisten können?
Wir haben ein Preisniveau, das niedrig anfängt, für den Preis einer Kinokarte kann man ins Theater, dann sitzt man halt in den oberen Rängen. Aber Kunst und Kultur darf schon etwas kosten, denn was gar nichts kostet, ist oft auch nichts wert.

Das Stadttheater bekommt Subventionen in Höhe von 17,664 Millionen Euro. Und was entgegnen Sie Menschen, die meinen, dass man in diesen schwierigen Zeiten Steuergelder lieber ins Gesundheitssystem oder in Infrastrukturprojekte stecken sollte?
Dass man so nicht rechnen kann. Ein Beispiel: Die gerade begonnene Modernisierung der Panzer des Bundesheeres kostet 560 Millionen Euro, in die gesamte österreichische Kulturlandschaft hat der Staat 2020 rund eine Milliarde investiert. Da liegt die Wertschöpfung aber bei 5,8 Milliarden Euro, das heißt, jeder investierte Euro zahlt sich fast sechs Mal zurück. Theater kostet nicht nur, sondern bringt extrem viel. Aber viel wichtiger ist der Wert für die Menschen, da sind wir wieder beim Zauber und dabei, dass man nicht alles materiell berechnen kann. Das darf man nicht gegen Pflegekräfte oder Schwimmbäder ausspielen.

Sie gelten als ein Intendant, der sehr aktiv auch auf die Freie Szene zugeht. Laut Kulturbericht 2021 haben Kulturinitiativen und -zentren knapp 900.000 Euro bekommen. Kommt da nicht die Frage auf: Warum bekommt ihr so viel und wir so wenig?
Nein, an unserem Haus arbeiten 270 Menschen, da gehen 80 bis 85 Prozent nur in das Personal, das im Gegensatz zur Freien Szene aufgrund der Subventionen einigermaßen fair bezahlt werden kann. Trotzdem sieht das Gehalt vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns eher traurig aus. Aber es ist wichtig, dass man zusammenarbeitet, denn auch die Freie Szene leidet sehr unter den ansteigenden Kosten. Niemand arbeitet in der Kultur, um reich zu werden, aber allein vom Applaus kann man nicht leben. Da muss es eine höhere Wertschätzung von Kunst und Kultur geben.

Ein großer Erfolg war zuletzt das Stück über Franz Wurst von Noam Brusilovsky, das die Menschen hier im Land unmittelbar angesprochen hat. Kärntner Inhalte am wichtigsten Kärntner Theater: Was ist da noch geplant?
Es wird wieder eine Zusammenarbeit mit Noam Brusilovsky geben, wir entwickeln gerade ein Stück über den Umgang mit Minderheiten. Und ich würde gerne das Udo-Jürgens-Musical machen, weil Udo Jürgens in das Land gehört und ich seine Musik liebe. Aber da hakt es, warum auch immer, noch an den Rechten. Außerdem jährt sich im Jahr 2026 der Geburtstag von Ingeborg Bachmann zum 100. Mal, da würde ich auch gerne etwas machen. Aber da mein Vertrag nur noch zwei Jahre läuft, kann ich dafür noch keine Verträge abschließen.

Möchten Sie weitermachen?
Unbedingt, ich liebe das Haus und die Menschen hier. Ich hatte gerade ein sehr gutes Angebot aus Deutschland, wo ich Generalintendant geworden wäre, das habe ich ausgeschlagen. Durch Corona habe ich zwei Spielzeiten verloren und ich möchte noch einiges hier machen. Ich hoffe, dass die Politik sich nicht gegen mich entscheidet. Die Signale sind positiv.

Wann müsste diese Entscheidung fallen?
Vorgestern. (lacht)

 

Zur Person

Aron Stiehl, geboren 1969 in Wiesbaden. Studierte Musiktheaterregie, war von 1996 bis 2001 Spielleiter an der Bayerischen Staatsoper und danach freier Regisseur.
Erste Inszenierung in Klagenfurt 2008 Schlafes Bruder. Weitere folgten, darunter Im weißen Rössl (2015), Evita (2019).
Seit der Saison 2020/2021 Intendant des Stadttheaters Klagenfurt.