Cavalleria Rusticana / Pagliacci
Melodram in einem Aufzug von Pietro Mascagni - Dichtung von Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci / Drama in zwei Akten und einem Prolog von Ruggero Leoncavallo - Dichtung vom Komponisten / in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Cavalleria Rusticana / Der Bajazzo
Bald nach den Uraufführungen beider Opern etablierte sich die Praxis Cavalleria Rusticana und Pagliacci an einem Abend zu geben: Beide spielen im dörflichen Süditalien und handeln von zerplatzten Träumen, Liebe, Eifersucht, verletzter Ehre und Mord. Die Komponisten illustrieren das faszinierende und oftmals dramatische Theater des Lebens mit satten, dramatisch effektvollen musikalischen Mitteln.
Die musikalische Leitung übernimmt Chefdirigent Alexander Soddy, Regie führt Marco Štorman, der in Klagenfurt zuletzt für die gefeierten Inszenierungen von Winterreise, Der Rosenkavalier und Das goldene Vlies verantwortlich zeichnet. Als Turiddu und Canio kommt Startenor Ricardo Tamura nach Klagenfurt. Seine Karriere führte ihn u.a. 2013 an die Metropolitan Opera New York, wo er als Cavaradossi in Tosca debütierte. Für die Rollen von Santuzza und Nedda konnten zwei international gefeierte Sopranistinnen, Mary Elizabeth Williams und Guanqun Yu, gewonnen werden.
Einführung 19.05 Uhr im Galeriefoyer links
Sonntags ins Theater
Für die Vorstellung am 16. November 2014 um 15.00 Uhr erhalten Erwachsene 20% Ermäßigung, Kinder und Jugendliche 50% Ermäßigung auf den regulären Kartenpreis.
Interviews
Interview Marco Štorman
Ein Gespräch mit Regisseur Marco Štorman zu seiner Inszenierung von Cavalleria rustiacana/Pagliacci am Stadttheater Klagenfurt
Interview Laura Schmidt
Schon kurz nach den Uraufführungen der beiden veristischen Opern Cavalleria rusticana(uraufgeführt 1890 in Rom) und Pagliacci (uraufgeführt 1892 in Mailand) etablierte sich die Praxis, die beiden an einem Abend zu geben. In Deiner Inszenierung sind über wiederkehrende szenische Elemente und ähnliche, in beiden Teilen auftauchende Bestandteile des Bühnen- und Kostümbildes die zwei Werke miteinander verknüpft. Was verbindet für Dich thematisch die beiden Opern?
Štorman: Für mich ist es wichtig, dass die Inszenierung einen Grund liefert, dass Cavalleria rusticana und Pagliacci an einem Abend aufgeführt werden. Letztlich erzählen sie beide vom immerwährenden und immer kreisenden Spiel der Liebe. Wie sich Sehnsüchte aufbauen, sie zerstört werden, sich Menschen wieder aufrichten. Wie sie kämpfen, in ihrem Kämpfen aber gegen die Mechanismen einer Gesellschaft stoßen, sich gegen diese stellen müssen, wie aus Liebe Hass wird, aus Eifersucht Rache, aus Leben Sterben. Gleichzeitig steht in Pagliacci eine Bühne auf der Bühne. Das Leben kreist also nicht nur als solches, sondern dreht sich weiter in unsere Wunsch- und Traumbilder hinein. Hier liegt unser Anknüpfungspunkt: Wessen Wahrheit wird eigentlich erzählt? Und wer hat die Kontrolle über unsere Wünsche? Gibt es eine objektive Realität? Oder projizieren wir nicht vielmehr alle qua eigenem Erleben, eigener Ängste, jeder einen eigenen Blick in das Jetzt? Pagliacci ist eine Variation von Cavalleria rusticana. Ein Weiterdrehen der Geschichte. Realität und Fiktion vermischen sich zunehmend. Was ist also Theater, Träumen, was ist Leben? Oder erleben wir nicht vielmehr im Träumen? Tonio, die Erzählerfigur in Pagliacci, taucht bei uns auch in der Person des Alfio im ersten Teil, in der Cavalleria rusticana auf. Er wird zum teuflischen Traumlenker, zu jemandem, der das Spiel unserer Leben spielt, unsere Wahrnehmung verschiebt und uns von einer Bühne des Lebens in die nächste führt.
In Mascagnis Oper erfahren wir wenig über die Hintergründe der Handlung. Lolas Ehebruch, Santuzzas Entehrung, alles ist schon vorher passiert. Dass Lola und Turiddu angeblich ein Liebespaar sind, erfährt man nur über Santuzza. Die beiden singen nicht einmal ein Liebesduett miteinander. Wo liegt denn die Wahrheit der Geschichte? Oder ist das gar nicht relevant? Geht es wie in Pagliaccium Projektion, Fassaden, Masken?
Štorman:Die Wahrheit der Geschichte ist vielleicht gar nicht so wichtig, wenn man sich darauf einlässt, dass wir die Wahrheit Santuzzas erleben. Es heißt ja, Liebe macht blind. Ich frage mich immer, wieso blind? Liebe fokussiert den Blick, die Wahrnehmung. Liebe macht nicht blind, Liebe intensiviert alle Farben, man wird hypersensibel: Santuzza sieht Zeichen und Reaktionen, die vielleicht gar nicht da sind. Ihre Eifersucht steigert sich ins Unermessliche und nimmt letztlich die Form von größter Rache an. Was ist da wahr? Sicherlich ihr Schmerz, ihre Wut. Auch ihr Unvermögen, die eigene Eifersucht zu bändigen. Aber ist ihr Erleben und Reagieren damit auch für alle anderen wahr? Eher nicht. Es gibt keine eine, wahre Geschichte. Es gibt nur das eine, wahre Erleben. Jeder sieht jederzeit die Dinge durch seine eigene Brille. Die eigene Wahrnehmung wird gelenkt durch den eigenen Zustand, ist gefärbt durch eigene Erfahrungen, Ängste, Sehnsüchte. So kann man nur von der eigenen Wahrheit erzählen, versuchen sie nachvollziehbar zu machen. Darum ist es ja auch großartig, dass Mascagni all die Leerstellen lässt. Er versucht gar nicht erst ein Leben erklärbar zu machen. Er lässt dem Fühlen freien Lauf. Dem Fühlen, und wie dieses den Blick auf das eigene Leben verschiebt.
In beiden Opern spielt der Chor eine zentrale Rolle. Wofür stehen die Massen? Die Mitglieder dieser archaisch anmutenden Dorfgemeinschaften, in der traditionelle Werte und christliche Moralvorstellungen gepflegt, Ehre und Rituale großgeschrieben werden, staatliche Instanzen nicht präsent sind, Rache freie Bahn zu haben scheint und man die einem zugewiesene Rolle zu erfüllen hat? Gibt es bei Mascagni und Leoncavallo eigentlich eine geschützte Privatsphäre, oder ist nicht alles irgendwie öffentlich?
Štorman: Das Dorf ist das Gegenüber, die Masse und die Wand, gegen die man sich so oft rennen fühlt. In Cavalleria rusticana wird das Dorf zu einer Art Gericht über Santuzza. Gesellschaft bedeutet Verabredungen darüber, wie wir miteinander leben wollen. Um das zu zelebrieren, gibt es verschiedene Formen des Zusammenkommens. Das kann der wöchentliche Besuch auf dem Markt sein, die sonntägliche Messe, das Hausfest mit den Nachbarn, die Plauderei mit der Kassiererin im Supermarkt. Wir alle spielen in dieser Verabredung unsere Rollen. Wir alle legen unser privates Leben in das Öffentliche. Dave Eggers beschreibt eine nicht ferne Zukunft, in der sich die Gesellschaft folgende Statuten gibt: „Secrets are lies. Sharing is caring. Privacy is theft.“ Wir merken sofort, er hätte das gar nicht für die Zukunft formulieren müssen: Was passiert denn, wenn ich mich in der Verabredung nicht mehr wohl fühle? Wenn ich das Gefühl habe, ich passe nicht mehr hinein? Was ist, wenn ich andere Wünsche habe? Dann gibt es meist nur den Rückzug aus der Gemeinschaft und damit das Verstoßen gegen diese Statuten. Plötzlich bist du falsch und komisch und anders, weil du Geheimnisse hast, weil du dich nicht komplett zur Verfügung stellst, weil du lügst. Wird Santuzza ausgestoßen, oder zieht sie sich nicht vielmehr bewusst aus dem Dorfleben heraus? Ist Einsamkeit die einzige Möglichkeit, sich dem Druck der Gesellschaft zu entziehen? Was für ein Los! In Pagliacciwird dasselbe Thema noch einen Schritt weitergedacht. Dort treffen plötzlich die Künstler auf die Dorfgemeinschaft. Also diejenigen, die sich für den Schritt heraus und einen Blick von außen längst entschieden haben. Und sie treffen auf eine fast gierige Erwartungs- und Unterhaltungswut. Es soll geliefert werden. Die Gesellschaft hier treibt in ihrer Erwartung gar das Spiel zurück in die Realität und merkt es gar nicht. Noch schlimmer: Die Spieler selbst verlieren jeden Bezug zwischen Spiel und Realität. Alles wird eins. Aber wenn alles eins wird: was ist dann wahr?
Tonio kündigt in seinem Prolog an: „Ihr werdet sehen, wie sich die Menschen wirklich lieben.“ Ist nicht auch die Liebe weder ganz fiktional noch ganz real?
Štorman: Noch mehr: was ist „wirklich lieben“? Was überhaupt ist „wirklich“? Tonios Satz ist für mich eine Art Leitmotiv für unsere Inszenierung: Wir streben so sehr nach dem Echten, dem Realen und stecken noch viel mehr in dem Dilemma, dass für unser Gegenüber das Echte und Reale immer etwas Anderes ist. Wir wollen teilen und müssen doch alleine das ganze Chaos unserer Existenz ertragen. Im Leben, das in vielem doch aus Lieben-Wollen und Geliebt-Werden-Wollen besteht, geht es oft um Besitz, den anderen Besitzen-Wollen, um eine Art von vermeintlichem Glück, von vermeintlicher Befriedigung, die wir zu erreichen versuchen. Doch hat man das eine, will man schon das nächste. Es ist nie genug. So entstehen Neid und Eifersucht. Viel zu oft leiten diese die Wahrnehmung unserer jeweiligen Realität. In Cavalleria rusticana und Pagliacci führen sie gar bis in den Mord. Mit „wie sich die Menschen wirklich lieben“ ist gleich im Prolog eine Unmöglichkeit formuliert, eine Utopie. Eine nicht aufzugebende menschliche Hoffnung. Denn das Ende des
Liebens ist das Ende des Lebens.
Pressestimmen
Arien mit Wimmelbild
Italienischer Operntriumph in Klagenfurt
Klagenfurt – Marco Stormans ganz eigenständige Inszenierungen werden allmählich zu einem Markenzeichen des Klagenfurter Stadttheaters. Nach dem so erfrischend unwienerischen „Rosenkavalier“ im Vorjahr zäumt er jetzt das Operngespann „Cavalleria Rusticana“ und „Pagliacci“ neuartig als ein kohärentes Verwirrspiel um Kunst und Leben auf.
Da öffnet jede Bühne die Aussicht auf eine weitere, und Mary Elizabeth Williams‘ Santuzza ist nicht nur die Verlobte, die von Turiddu betrogen wird, sondern auch die Zuschauerin ihres eigenen Dramas. Alexander Soddy und sein Kärntner Sinfonieorchester sind geradezu andächtig bei der Sache. Für die gesanglichen Höhepunkte sorgt, obwohl es neben der erwähnten US-Sopranistin mit Ricardo Tamura als Turiddu/Canio oder mit Guanqun Yu als Nedda weitere international namhafte Gäste gibt, der von Günter Wallner präzisest einstudierte Stadttheater-Chor.
Er unterstreicht, dass Kärnten ein Land der Chöre ist. Und zu Recht darf dieses Kollektiv, das kostümlich einer süditalienischen Dorfgemeinschaft nachempfunden ist, beim Schlussapplaus mehrfach an die Rampe.
Das ist als musikalisches Kompliment gemeint, hat aber bei Storman auch inhaltlich seine Begründung: Es ist das Kollektiv, das bereits seinen Kindern – die Bühne wimmelt davon – die Muster einimpft, nach denen sie als Erwachsene funktionieren.
Auch Lebensrollen sind theatralisch. Daran ändert nichts, dass Csaba Szegedis Fuhrmann Alfio ebenso wie später sein Tonio scheinbar zu allem lächelt oder dass sich Canio als Bajazzo alles gefallen lässt, was er als Verliebter für unerträglich hält. Unter den Masken kocht das Blut. Was es derart erhitzt, ist am Ende genauso vorgegeben wie das lächerlich heroische Gehabe eines Duells.
Ehrgeiz, Eifersucht und besonders das gekränkte Selbstwertgefühl bei Beziehungsverlusten bestimmen alles. Keineswegs unschuldig sind die Santuzza oder die Nedda. Richtig schauerlich wird es, wenn die Männer die Probleme lösen wollen.
Das Klagenfurter Stadttheater zeigt eine musikalisch hervorragende Inszenierung der Operzwillinge „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“. […]
Es ist das starke Schlussbild aus Ruggero Leoncavallos „Pagliacci“ am Stadttheater Klagenfurt, in dem Tonio als teuflischer Traumlenker im Mittelpunkt steht. Csaba Szegedi ist dabei ein ungemein bühnenpräsenter Strippenzieher, der über einen kernigen Bariton verfügt und auch zu wunderbar weichen Tönen fähig ist. Wie man überhaupt bei den aufgebotenen Stimmen dieser Neuproduktion, die mit dem siamesischen Zwilling „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni gezeigt wird, unwillkürlich ins Schwärmen gerät. Denn Mary Elizabeth Williams verfügt als Santuzza über einen voluminösen Sopran, kann aber auch mit inniger Mezza voce punkten. Ricardo Tamura singt sowohl den Turiddu wie auch den Canio mit schönem, kräftigen Tenor und tollen Höhen […]. Guanqun Yu verfügt als Nedda über einen feinen, flexiblen Sopran. Anna Werle ist eine kokette Lola, Andrea Borghini ein schönstimmiger Silvio. […] Alexander Soddy […] lässt […] es (Anm. das Kärntner Sinfonieorchester) nicht nur in den Intermezzi und in der Schlussszene funkeln, es mangelt auch nicht an berührenden wie packenden Emotionen. […] Marco Štorman […] schafft in beiden Kurzopern eine glitzernde Kunstwelt, wo sich jeder verstellt, Realität und Traum miteinander verschmelzen. […] Großer Jubel!
Viel Applaus gab es am Samstagabend für Cavalleria Rusticana und Pagliacci am Stadttheater Klagenfurt. Regisseur Marco Štorman setzte mit Mary Elizabeth Williams, Guanqun Yu, Csaba Szegedi und Ricardo Tamura zu Recht auf wirklich große Stimmen. Storman inszeniert aber auch mit viel Liebe zum Detail. Kinder, die die Hauptfiguren darstellen, verbinden beide Opern. Das Bühnenbild von Dominik Steinmann ist eine Bühne auf der Bühne. […]
Viel hatte sich Marco Štorman für seine Stadttheater-Inszenierung von Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und Leoncavallos „Pagliacci“ vorgenommen. Nach der umjubelten Premiere scheint die originelle, bunte Umsetzung der beiden Verismo-Opern geglückt, nicht zuletzt dank exzellenter musikalischer Leistungen. Dynamisch und expressiv agierte das KSO unter Alexander Soddy und trug die glänzend besetzten Rollen sicher durch die Härten der ländlichen süditalienischen Gesellschaft. Mit unglaublicher Präsenz, stimmlich wie optisch, demonstriert Mary Elizabeth Williams als Santuzza Stärke und Ohnmacht der Frau innerhalb festgefügter sozialer Strukturen. Die emotionalen Spannungen zwischen ihr und Turiddu – Ricardo Tamura ist tenoraler Hörgenuss pur – gehen unter die Haut. Ebenso jene, die Csaba Szegedi mit wendigem, tragenden Bariton als rasender Fuhrmann Alfio erzeugt. Szegedi ist dann auch in „Pagliacci“ als Komödiant Tonio/Taddeo der dramatische Drehpunkt. Im selben Kostüm wie in „Cavalleria“ versucht er in grandioser Mimik fauchend das Schicksal zu drehen zwischen Nedda/Colombina, brilliant und voluminös gesungen von Guanqun Yu, und Komödianten-Prinzipal Canio/Pagliacco, dem Tamura wiederum großes Profil verleiht. Es erfreuen weitere Solisten, der Chor unter Günter Wallner und viele Kinder! [… ]