Bühne
Premiere: Do, 05.01.2017
Dernière: Fr, 10.02.2017
Wut
Schauspiel von Elfriede Jelinek / Österreichische Erstaufführung
Mit Wut reagierte Elfriede Jelinek auf jene Geschehnisse, die unser europäisches Selbstverständnis erschüttert haben: Das Attentat auf die Redaktion des Pariser Satiremagazins „Charlie Hebdo“ und wenig später die blutige Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt. Der Text wird von Marco Štorman inszeniert. Nach Winterreise ist dies seine zweite Auseinandersetzung mit der Literaturnobelpreisträgerin am Stadttheater Klagenfurt.
„Nicht die Liebe macht blind, das macht schon die Wut”, sagte Elfriede Jelinek jüngst in einem Interview. Aber kann Wut oder zielgerichteter Zorn nicht auch ein enormer Antrieb sein? Wie produktiv, wie zerstörerisch, wie gefährlich sind die Emotionen Wut, Zorn, Hass - und Liebe? „Singe den Zorn” steht am Anfang der europäischen Überlieferung in Homers Odyssee. Er gilt dort als unheilbringend und wird doch hoch geschätzt, weil er Helden hervorbringt. Von der Antike ins Jetzt spannt Jelinek in ihrem neusten Stück einen Bogen, immer ausgehend von den Pariser Selbstmordattentätern. Sie fächert das Thema Wut auf bis zur alltäglichen Eifersucht des verlassenen Partners, zu Hassreden im Internet und vermeintlicher Ohnmacht. Mehrstimmig ist dieser Wut-Chor, vielstimmig die Perspektive, vielschichtig das Stück. Jelinek wagt es, auch im Namen der „Gotteskrieger“ zu sprechen. Sie interessiert sich ebenso für die Selbstermächtigung der fanatischen Täter wie für die Sicht der Zuschauenden... So generiert sie ein verstörendes „Wir“.
Nicht ohne Komik untersucht Elfriede Jelinek Wut als etwas Ur-Menschliches, dem sie nicht zuletzt auch im Eigenen begegnet. Betrachtet man die gegenwärtig frei werdenden Racheenergien, offenen Rassismus in Europa sowie den internationalen Terrorismus, wird deutlich, welch gefährliche, treibende Kraft Wut zum Thema macht.
Dauer ca. 1 Stunde, 50 Minuten (keine Pause)
Fotos (c) Karlheinz Fessl
Bühne
Premiere: Do, 05.01.2017
Dernière: Fr, 10.02.2017
Podcast Einführung
Termine & Karten
Keine Termine vorhanden.
Besetzung
Regie
Ausstattung
Musik / Komposition
Dramaturgie
Mit
Wut-An-Klang
Pressestimmen
Starkes Stück, stark gespielt: Elfriede Jelineks „Wut“ zum islamistischen Terror in Europa als österreichische Erstaufführung in Klagenfurt.
(…) „Wir setzen uns mit nichts mehr auseinander, wenn wir zusammensitzen“, heißt es bei Jelinek – folgerichtig wird gleich einmal das Publikum getrennt: Es flankiert, im Zuschauerraum und auch auf der Bühne platziert, zwei Seiten einer Arena, auf der verhandelt wird, was auf dem Spruchband an der Balkonbrüstung steht: „In der Bevölkerung gärt es. Ihr seid es. Ihr werdet bald übergehen von euch selbst“. Ein Todesengel mit schwarzen Flügeln steht neben einem Schafott (Ausstattung: Frauke Löffel und Anna Rudolph), das sich später – wie die Gesellschaft? – im Kreis dreht. Zunächst reklamiert eine verlassene Frau mit wachsender Entrüstung die aktive Rolle der Verlassenden für sich, eine zweite spricht den gleichen Text zum Publikum auf der anderen Seite – ein Echoraum, in dem nichts so zurückkommen muss, wie hineingerufen. (…) Štorman baute aus der irritierend schönen Textfläche szenisch (heraus-)fordernde 110 Minuten und komponierte – unterstützt vom Trio Wut-An-Klang (Musik: Thomas Seher) – aus Jelineks mächtigem Sprachfluss ein Oratorium, das nie der blinden Wut freie Bahn gibt, sondern eher verhalten und überlegend klingt. (…) Das Septett Anna Böger, Maria Hofstätter, Stephanie Schadeweg, Katharina Schmölzer, Moritz Löwe, Sebastian Edtbauer und Benedikt Paulun bricht die vielstimmige Textfläche weiter auf. Ist antiker Chor, formiert sich gegen die Anderen, setzt Köpfe zurecht und hackt sie ab, radikalisiert sich im Geplänkel, hat flott goldene Kalaschnikows zur Hand, spielt „Terroristen“ und vor der Kamera mit der Angst der Anderen. (…) Das starke Ensemble wächst förmlich hinein in den „Wut“-Text, in dem Jelinek ungeniert Poesie, Kalauer und Sprachgewalt einsetzt. Der intensive Abend im Licht der Scheinwerfer (dunkel wird es erst, wenn die „Wut“ vorbei ist) verlangt hohe Konzentration. Bei der Premiere nahm das Publikum diese Herausforderung an und war bis zum Schlussapplaus bei der Sache.
Elfriede Jelineks „Wut“ als bravouröse österreichische Erstaufführung im Stadttheater Klagenfurt.
(…) Ein (…) siebenköpfiges Ensemble, angeführt von Maria Hofstätter, meistert die theatralische Gratwanderung bravourös. Gratwanderung ist dabei auch wörtlich zu verstehen, denn gespielt wird im flüchtig gezimmerten Bühnenbild von Frauke Löffel und Anna Rudolph auf einem Holzsteg über dem Orchestergraben, auf dem Sebastian Edtbauer seine Hetzrede mit ständiger Halsdrehung halten muss, um von dem sowohl im reduzierten Parkett als auch auf der Bühne platzierten Publikum gehört zu werden. Anna Böger und Katharina Schmölzer fungieren als ungeschönte, giftige Vox Populi hiesiger Prägung. (…) Den ganzen Abend und damit auch den ganzen, manchmal geradezu singbaren Text strukturiert ein Trio, das sich „Wut-An-Klang“ nennt. Roman Britschgi (Bass), Lubomir Gospodinov (Saxofon) und Jörg Reissner (Gitarre) realisieren die dem Bühnengeschehen akustisch hochkonzentriert zugeordnete Komposition von Thomas seher. (…) Aber irgendwo muss die Wut enden. Vielleicht ist das der Grund, aus dem man nach diesem emotional durchaus strapaziösen Theatererlebnis nicht völlig ohne Hoffnung heimgeht: Hier wird zumindest noch versucht, das Unsägliche zu sagen.
(…) Elfriede Jelineks sprachlich virtuos-kreative, inhaltlich zur Todesfuge komponierte Reaktion auf die Pariser Terror-Morde 2015 bei Charlie Hebdo und in einem jüdischen Supermarkt feierte am Donnerstag im Stadttheater Klagenfurt ihre bejubelte Österreich-Premiere.
Ausgerechnet tiefster Pessimismus beschert in Klagenfurt nun höchstes Theaterglück. Dass die zunächst eher im Performance-Stil sich wie zufällig ergebenden Szenen und Statements auf einer mitten im Publikum errichteten Bühne sich alsbald zu einem kompakten Theaterwerk auswachsen, ist in erster Linie der starken Regiehand von Marco Štorman zu verdanken. Kongenial die sieben Darsteller (Anna Böger, Maria Hofstätter, Stephanie Schadeweg, Katharina Schmölzer, Sebastian Edtbauer, Moritz Löwe, Benedikt Paulun) sowie Ausstattung (Frauke Löffel, Anna Rudolph), Dramaturgie (Karoline Hoefer) und Sound (Thomas Seher). Als eine Art leuchtender Pfad führen die Musiker des „Wut-An-Klang“-Ensembles (Roman Britschgi, Lubomir Gospodinov und Jörg Reissner) mit Bass, Sax und Gitarre durch den zur Tötungsdiskussion vor einer Guillotine zusammengefassten Strauß uns allen aus den Medien bekannter Schrecknisse, dann und wann auch noch betont durch Videoaufnahmen. (…) Sehr anspruchsvolles, großes Theater, das den Zuschauer (…) zutiefst beeindruckt entlässt. (…)