12. Mai 2025

Ein Prosateppich für die verstorbene Schwester

Der verlorene Sohn verewigt die verlorene Tochter: Josef Winkler über seinen neuen Roman, den verlockenden Duft der Patisserie und die Uraufführung eines neuen Textes in Klagenfurt.

von Uschi Loigge/Kleine Zeitung
(Probenfoto: Karlheinz Fessl)

Das Manuskript Ihres nächsten Romans liegt beim Suhrkamp-Verlag, der Arbeitstitel lautet »Jeder für sich und Gott gegen alle«. Was ist diesmal Ihr Thema?

Josef Winkler: Es ist die Geschichte von der Heimkehr der verlorenen Tochter, verzahnt mit der Heimkehr des verlorenen Sohnes. Meine Schwester Maria litt unter Schizophrenie. Die beiden, die nicht so lebensund gesellschaftstüchtig waren – ich war 30 und sie 35 – haben sich am heimatlichen Bauernhof wiedergefunden. Wir waren dort vier seltsame Wesen, vier Schatten, vier Schattenrisse. Die Schwester, die in zwei Welten lebt, die Mutter, die verstummt ist, der Vater und ich – vier Wesen, die aneinander vorbeigelebt haben. Ich habe mich ja zu wehren gewusst, weil ich wenigstens die Sprache hatte, meine Schwester hatte nur Tabletten.

Dem Roman vorangestellt ist ein Zitat von Peter Handke aus Schnee von gestern, Schnee von heute. Schnee von gestern klingt schon ein bisschen lapidar für eine solche Geschichte …

Das Manuskript ist in einer Zeit entstanden, in der ich besonders viel von Peter Handke gelesen habe. Zurzeit lese ich ein paar ältere Bücher von ihm wieder und finde viele kostbare Sätze. Die Schönheit dieser Sprache kann einen auch lähmen und ich dachte mir: Wozu schreib ich eigentlich? Bei Peter Handke lernt man so viel, seine Art der Beobachtung, welchen Wert Kleinigkeiten haben. Handke ist nach Karl May, dessen Bücher ich in meiner Kindheit verschlungen habe, der Schriftsteller, von dem ich am meisten gelesen habe, seit ich selbst schreibe. Ich habe circa 10.000 Seiten, wenn nicht mehr, von ihm gelesen. Ich war so beschäftigt, dass ich über ein Jahr nicht in Klagenfurt unterwegs war und nirgends ein Bier getrunken habe. Erst nach einer Ruhepause, konnte ich selbst schreiben. Literatur entsteht aus Literatur.

Zurück zu Ihrer Schwester Maria. Sie verbrachte zuletzt sieben Jahre in einem psychiatrischen Pflegeheim in Möllbrücke. Sie haben sie regelmäßig besucht…

Ja. Und um bei den Besuchen die schwierige Zeit, als sie schon sehr krank war und kaum noch sprechen konnte, zu erleichtern, haben meine Frau und ich ihr mit Freude den »Pinocchio« vorgelesen. Meine Schwester hat das genossen, deshalb taucht Pinocchio auch im Roman auf. Die Geschichte kennt man ja, aber ich war dann erstaunt über die literarische Qualität. Im Stadttheater Klagenfurt hat meine Schwester Hanneles Himmelfahrt von Gerhart Hauptmann gesehen. Sie war nur ein einziges Mal im Theater, das hat sie sehr beeindruckt.

Im Roman erzählen Sie zum Teil spiegelverkehrt. Um der Welt der schizophrenen Schwester näher zu kommen?

Es ist wie ein Spiegelkabinett mit arrangierten Anekdoten und Motiven. Möglicherweise ist es mir gelungen, einen Prosateppich über 300 Seiten zu knüpfen. Ich hoffe, dass diese Entwicklung bei Form und Ausdruck erkennbar ist. Die verstorbene Schwester ist so präsent. Vielleicht ist es das erste Mal in der Literaturgeschichte, dass die Heimkehr einer verlorenen Tochter erzählt wird. Wir zwei waren halt die Außenseiter und so etwas wie eine seelische Gesinnungsgemeinschaft. Zwischen uns gab es eine besondere Nähe.

Ihre Schwester war ausgebildete Konditormeisterin. Welche Rolle spielt das?

Ich habe, wie Sie wissen, die achtklassige Volksschule besucht und dann wollte ich auf die Handelsschule. Wenn ich das nicht geschafft hätte, wäre meine Alternative eine Konditorlehre gewesen. Ich esse wenig Süßes, aber in Konditoreien riecht es gut. Ich gehe oft in eine hinein, schaue in die Vitrine und gehe wieder. Wenn ich die Lehre gemacht hätte, es wäre eine Konditor-Dynastie entstanden. Aus mir hätte schon was werden können.

Apropos Konditorei. Ist Ihr Stück Ich bei Tag und du bei Nacht, das am 15. Mai in Klagenfurt uraufgeführt wird, so etwas wie eine Single-Auskoppelung aus dem Roman?

Vom Theater verstehe ich nicht viel, meine Spezialitäten sind Literatur und Kino. Als eine erste diesbezügliche Anfrage von Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann gekommen ist, habe ich ihr einen ganz und gar surrealen Text und einen zu Odilo Globocnik vorgeschlagen. Sie hat sich für den Globocnik entschieden, daraus ist dann Lass dich heimgeigen, Vater im Burg-Kasino entstanden und in Folge der Roman. Das Stadttheater Klagenfurt hat sich später aus dem veröffentlichten Roman bedient und für Maria Saal ein Stück daraus gemacht. Jetzt habe ich die ersten und die letzten jeweils rund 20 Seiten des neuen Romans an den Stadttheater-Intendanten Aron Stiehl weitergegeben. Das erste Kapitel spielt in der imaginären »Patisserie Chaim Soutine«. Auch surreal. Ich schaue mir keine Proben an und lasse mich gerne überraschen.

Freuen Sie sich aufs Stück?

Da ich vom Theater nichts verstehe, werde ich in der Kleinen Zeitung nachlesen, ob es mir gefallen hat oder nicht!

zum Stück:

Ich bei Tag und du bei Nacht in der Konditorei »Pâtisserie Chaim Soutine«
von Josef Winkler
kärnten.museum
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