Schon immer kam der Passionsgeschichte, also der Schilderung der Leiden Jesu, im christlichen Gottesdienst eine zentrale Rolle zu. Oft wurden diese Geschichten in verteilten Rollen gelesen, später in feierlichem Ton vorgetragen, wobei beteiligte Menschenmengen durch große Chöre dargestellt wurden. Erste vollständige Passions-Vertonungen stammen bereits aus dem 17. Jahrhundert.
Früher meist nur in Gottesdiensten aufgeführt, ist die Johannes-Passion heute ein beliebtes und – speziell vor Ostern – oft aufgeführtes Konzertwerk. Erstmals nimmt sich auch das Kärntner Sinfonieorchester in einem Konzert am 05. April 2023 dieses mächtigen Werkes an. Am Pult des KSO steht Philipp Ahmann, seit 2023 künstlerischer Leiter des MDR Rundfunkchores Leipzig. Neben der Erarbeitung von A-Cappella-Literatur aller Epochen hat er sich vor allem auch einen Namen mit Interpretationen oratorischer Werke gemacht.
Herr Ahmann, was spricht dafür, sich die Johannes-Passion im Konzertsaal anstatt in der Kirche anzuhören?
Die Akustik eines Konzertsaals ist vielleicht transparenter und klarer dadurch, dass sie trockener ist. Ich denke, dass das Bachs Musik entgegenkommt, weil harmonisch sehr viel in kurzer Folge passiert. In einer Kirche überlagern sich die Klänge durch den Nachhall eher. In einem Konzertsaal kann man also vielleicht auch etwas raschere Tempi nehmen als in einer Kirche.
Welche Rolle kommt in dem Werk dem Chor zu?
Eine bedeutende – der Chor hat sehr viel zu singen. Dabei nimmt er unterschiedliche Perspektiven ein: Er ist Teil des Geschehens – neben den Hauptsolisten, die Jesus, Pilatus und kleinere Rollen singen, übernimmt der Chor in den sogenannten dramatischen Turbae-Chören die Rolle des Volkes. Darüber hinaus singt er die Choräle, in denen er die andächtige Perspektive der Gemeinde einnimmt, und die opulenten Chöre, die das Werk rahmen: Eingangs- und Schlusschor, in denen der Text sich an die Zuhörer wendet.
Leiden, Aufopferung, Erlösung… Muss man bekennender Christ sein, um mit der Johannes-Passion und den zentralen Themen etwas anfangen zu können? Oder denken Sie, dass es möglich ist, auch abseits der Leidensgeschichte, nur durch die Musik, einen Zugang zum Werk zu finden?
Letzteres trifft, denke ich, auf jeden Fall zu. Man muss sich natürlich wie bei Opern und anderen Musiktheater-Werken auch auf die Handlung einlassen. Wie Bach diese musikalisch umsetzt, ist einmalig und in seiner Ausdruckskraft einzigartig. Man hat ja immer wieder bedauert, dass Bach keine Opern geschrieben hat – seine Passionen sind jedoch so expressiv, wie es Opern sind, sie haben eben nur einen geistlichen Inhalt. Die Geschichte von Jesu Verrat, seiner Gefangennahme, dem Prozess seiner Verurteilung und seinem Tod am Kreuz ist ja eine sehr packende und spannende, unabhängig jeder religiösen Überzeugung.
Die Johannes-Passion wurde im Laufe der Jahrzehnte immer wieder umgeschrieben, einzelne Teile wurden ergänzt und andere gestrichen. Das war zum Teil der Obrigkeit und deren Anweisungen zuzuschreiben. Für welche Fassung haben Sie sich für die Klagenfurter Aufführung entschieden und was genau zeichnet diese aus?
Die Frage der verschiedenen Fassung der Passion ist kompliziert, weil es keine »endgültige« Fassung der Johannes-Passion als Reinschrift oder Druck gibt. Das Stimmenmaterial zeigt, dass das Werk mehrfach aufgeführt wurde und es jedes Mal ein paar Änderungen gab.
Unsere Fassung richtet sich nach der neuen Bach-Ausgabe, die beim Bärenreiter-Verlag erschienen ist. Sie ist eine Mischfassung aus der unvollendeten Neufassung Ende der 1730er Jahre und der vierten Fassung von 1749. Besonders die zweite Fassung unterscheidet sich von der Ursprungsfassung. Sie hat z.B. einen anderen Eingangschor, den Bach später in die Matthäus-Passion übernommen hat und zwei Tenor-Arien, die auch toll sind. Diese Fassung ist sicherlich auch reizvoll, aber ehrlich gesagt möchte ich ungern auf den ersten Eingangschor verzichten. Die Johannes-Passion ist im Vergleich zur Matthäus-Passion aufgrund ihrer kleineren Besetzung natürlich kammermusikalischer, gleichzeitig aber auch etwas dramatischer, denn sie steigt später ins Geschehen ein und konzentriert sich vor allem auf die Auseinandersetzung zwischen Jesus und Pilatus unter Einbeziehung des Volks, was zu einer dramatischen und dichten Folge der Ereignisse führt.
Arbeiten Sie das erste Mal mit dem Kärntner Sinfonieorchester zusammen?
Ja, ich bin zum ersten Mal beim Orchester und beim Chor und freue mich sehr auf die gemeinsame Arbeit und die Aufführung dieses fantastischen Werks!
Johannes-Passion
Dirigent Philipp Ahmann
Choreinstudierung Günter Wallner
Chor des Stadttheaters Klagenfurt
Kärntner Sinfonieorchester
05. April 2023 – 19.30 Uhr (Konzerthaus Klagenfurt)